"Aus städtebaulicher Sicht ist dagegen nichts zu sagen"

Moderation: Jürgen König · 02.04.2007
Der Stadtplaner Helmut Bott hat das künftige Hamburger Stadtviertel Hafencity, in dem die neue Elbphilharmonie gebaut werden soll, als entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Stadt bezeichnet. "Man orientiert sich wieder zum Hafen, man arbeitet den ganz besonderen Charakter der Stadt, der nun mal eben geprägt ist durch diesen Bezug zur Elbe und durch die Seefahrttradition, heraus, und stärkt eben damit das Besondere der Stadt", sagte der Leiter des Städtebau-Instituts der Universität Stuttgart.
Jürgen König: Mit der neuen Elbphilharmonie will Hamburg sich weltweit als Touristenziel empfehlen. Über das City-Branding, also darüber, eine Stadt mit einem Wahrzeichen als Marke zu positionieren, darüber sprechen wir mit Professor Helmut Bott, er leitet das Städtebauinstitut der Universität Stuttgart. Guten Morgen Herr Bott!

Helmut Bott: Guten Morgen Herr König!

König: Machen die Hamburger das richtig, mit dem Bau der Elbphilharmonie ein City-Branding zu betreiben?

Bott: Ja, dieses Konzept, das Hamburg da verfolgt, ist ein Konzept, das in vielen Städten, insbesondere in Europa, eingesetzt wurde, um die Stadt in der globalisierten Ökonomie zu positionieren. Man muss sehen, dass es einen weltweiten Trend gibt, die Städte überall durch internationales Kapital gleich gestaltet zu bauen.

Also wenn wir uns mal die großen, die schnell wachsenden Städte uns auf der Welt anschauen, vor allen Dingen im asiatischen Raum, aber auch zum Beispiel in Südamerika, wie Sao Paulo, dann kann man feststellen, dass die Städte immer ähnlicher werden, sie haben überall die gleiche Hochhaustypologie, die gleichen Dichten. Und das Interessante ist, dass gerade die europäischen Städte eigentlich einen Gegentrend versuchen, und versuchen, die Identität der Stadt, ihre ganz spezielle Art, ihre räumliche Charakteristik zu stärken. Und dabei insbesondere auch das, was man seit langem, weiche Standortfaktoren nennt, also insbesondere die Kultur, zu stärken.

König: Das heißt, dann macht Hamburg es doch sehr richtig, wenn man den Hafen betont und ja auch sich ein sehr individuelles Gebäude hinstellt mit der Elbphilharmonie?

Bott: Ja, im Prinzip ist gegen dieses Projekt aus städtebaulicher Sicht nichts zu sagen. Man muss natürlich über die Kosten nachdenken. Dieses Projekt Hafencity insgesamt ist für mich in der Geschichte der Stadt Hamburg, in der städtebaulichen Geschichte, ein ganz entscheidender Wendepunkt.

Wenn man zurückgeht: Die Bedeutung der Stadt, ihre Macht, ihr Reichtum kam vom Hafen. Der Hafen war am Beginn in der Stadt, in den Fleets, die Schiffe fuhren in die Staat rein. Der Welthandel, der natürlich da noch ganz gering war, verglichen mit heute, mischte sich mit dem Stadtleben. Im 19. Jahrhundert wurde der Hafen ausgelagert, wurde zur Schmuddelzone, und die schöne Seite der Stadt, das war die Orientierung zur Alster, und die reichen Leute zogen in die Villen nördlich der Stadt.

König: Ballindamm, Jungfernstieg.

Bott: Ganz genau. Man hat sozusagen den Rücken zum Hafen gekehrt, da, wo eigentlich die ökonomische Basis der Stadt lag und bis heute liegt, zumindest ein wesentlicher Teil. Heute ist natürlich die Ökonomie sehr viel stärker diversifiziert worden. Und dann ist im Wiederaufbau durch diesen Durchbruch der großen Straße der südliche Teil der Stadt noch stärker abgetrennt worden.

Und jetzt macht man eigentlich das, was man ursprünglich hatte, nämlich man orientiert sich wieder zum Hafen, man arbeitet den ganz besonderen Charakter der Stadt, der nun mal eben geprägt ist durch diesen Bezug zur Elbe und durch die Seefahrttradition, arbeitet man raus und stärkt eben damit das Besondere der Stadt.

König: Hamburg ist doch so stolz auf seine Bürgergesellschaft. Jetzt wird mit der Elbphilharmonie ganz direkt ein internationales Jetset-Publikum geworben. Wie wird das die Stadt verändern?

Bott: Das Image der Stadt, geprägt durch die kulturellen Funktionen, geprägt durch die Menschen, die man dort anziehen kann, entweder als Touristen oder eben als dauerhafte Bewohner, spielt heute eine viel größere Rolle bei Investitionen als die traditionellen Faktoren, Autobahnanschluss, Gleisanschluss, diese ganze technische Infrastruktur.

Die Entscheidungen über Investitionen, sagen wir mal, von Firmen im Informationssektor, die laufen nach ganz anderen Kriterien als die traditionelle Entscheidung. Ein Beispiel: Es gibt eine neu geplante Stadt an der Cote d’Azur in Frankreich, wo 30.000 Wissenschaftler arbeiten. Man braucht einen Flughafen in der Nähe, einen Internetanschluss und eine schöne Landschaft und ein gutes kulturelles Ambiente.

König: Nun kann man lesen, im letzten Jahr hätten über sieben Millionen Touristen Hamburg besucht, 11,5 Prozent mehr als im Vorjahr, und es seine Touristen aus Istanbul, aus Toronto, aus Prag, aus Sydney gewesen, also aus der ganzen Welt. Wozu braucht man angesichts solcher Zahlen noch ausdrücklich ein City-Branding? Die Leute kommen doch schon.

Bott: Ja, das ist natürlich immer so, dass man, wenn man Erfolg hat, auch Angst hat, den Erfolg wieder zu verlieren. Und es gibt natürlich eine starke Konkurrenz zwischen den Städten, aber insgesamt ist dieser Trend seit langem so. Man sagt ja, dass im Sommer in London mehr Touristen leben als Einwohner. Diese Nutzung der Stadt mit ihren kulturellen Angeboten von der Gastronomie bis zur Oper, bis zum Theater und so weiter, das sind natürlich gigantische ökonomische Inszenierungen auch.

König: Die Hamburger verweisen ja gerne auf die Strahlkraft der Sydney-Opera. So wolle man auch werden wollen. Waren die Australier die ersten beim City-Branding?

Bott: Das ist natürlich ein sehr frühes Beispiel, aber wenn wir ein paar Jahrzehnte zurückgehen, denken wir mal an Barcelona mit diesen großen Anstrengungen, die Stadt umzubauen für die Olympiade, oder auch die Anstrengungen etwa bei München bei der Olympiade, dann haben wir immer solche Anstrengungen bei Städten, die auch sehr häufig sehr erfolgreich waren. Man kann aber feststellen, dass die gezielte Debatte um diesen Begriff mit Werbekonzepten, die ausgearbeitet werden für Städte, in den letzten zwei Jahrzehnten häufiger geworden ist.

König: Ist das auch so eine Art Wettrüsten der Städte, um im globalen Wettstreit um die Touristen bestehen zu können?

Bott: Ganz sicher. Ich habe ja vorhin die alten harten Standortfaktoren angesprochen. Früher haben Städte konkurriert, eben indem man versucht hat, für die industrielle Basis die Bedingungen zu verbessern und auszubauen. Und heute versucht man eben, durch diese symbolischen Darstellungen, durch die Imageverbesserungen in diesem internationalen Konkurrenzkampf Punkte zu sammeln.

König: Birgt die Konzentration auf ein spektakuläres Bauwerk nicht Gefahren in sich aus Sicht des Stadtplaners? Werden da nicht andere Bereiche vernachlässigt?

Bott: Wenn es so wäre, wäre es ganz schlecht. Aber da muss ich nun sagen, das Konzept der Hafencity Hamburg umfasst doch viel mehr. Es soll ein neuer Stadtteil werden, der eben gemischte Funktionen hat, der trotz einer hohen Dichte auch sehr große Qualitäten im städtischen Freiraum hat. Es wird eine neue Universität dort gebaut werden, also man versucht, einen ganz neuen Stadtteil dort zu gestalten, der dem Stand der städtebaulichen Diskussion auch entspricht und durch die Erhaltung der historischen Speicherhäuser und die Orientierung eben an den alten Hafenstrukturen auch eine ganz besondere Charakteristik bekommen wird.

König: Alles zusammen genommen, Herr Bott, wie bewerten Sie die Strategie? Ist das jetzt die Ultima Ratio der Städteplanung oder sind schon wieder neue Trends des Stadtmarketings in Sicht?

Bott: Nein, also wenn man das insgesamt betrachtet, ist das ja nur die eine Seite. Es gibt ja auch noch die anderen Menschen, die nicht permanent an den Events teilnehmen und sehr viel Geld für gehobenen Konsum ausgeben, sondern es gibt auch die ganz normalen Bewohner der Stadt. Und man muss einfach sehen, dass natürlich neben diesen großen spektakulären Aktionen eine Stadt gut beraten ist, wenn sie ihre normalen Qualitäten, das heißt also gute Wohnquartiere, eine gute technische Infrastruktur, ein gutes Bildungssystem, ausbaut.

Aber ich muss sagen, ich bin eigentlich über diese europäischen Städte, die versuchen, diese dichte, kompakte und nutzungsgemischte europäische Stadt weiterzuentwickeln und durchaus auch das, was man so heute Leuchtturmprojekte auch nennt, oben drauf zu stellen, aber unterhalb dann eben die Stadt solide weiterzuentwickeln und nicht aufzulösen im …, im regionalen Brei von Einfamilienhäusern, oder aber in diesem Chaos der Megastädte mit ungeheurer Dichte und schlechten Stadtraumqualitäten.

Da finde ich einfach diesen europäischen Weg erstaunlich gut, und ich habe ständig hier Gäste und bin Gastprofessor in China, und kann nur sagen, dass weltweit Städte wie München, Hamburg, Köln, aber auch eben Barcelona, Rotterdam, alle diese Städte, die diese Projekte, etwa Rotterdam mit der großen Brücke, der Übergang über die Maas …, auch ein Industriegebiet, Barcelona, der Umbau der Industrien am Hafen: Alles das, wird weltweit anerkannt und auch versucht inzwischen zu imitieren.

König: Vielen Dank für das Gespräch.