Aus der Wüste Gobi in die Kunsthallen der Welt

Von Anja Mauruschat · 12.10.2009
Sein Vorbild ist Marcel Duchamps mit seinen "Ready Mades". Und wie Duchamps nutzt auch der chinesische Künstler Ai Weiwei vorhandene Materialien und Objekte, um sie in einen Kunstkontext einzuflechten. In München ist ihm eine große Einzelausstellung gewidmet.
Ai Weiwei: "Kunst führt uns zu einer neuen Erfahrung. Indem wir so eine neue Erfahrung durchmachen, entwickeln wir die Fähigkeit, die Wirklichkeit auf eine neue Weise wahrzunehmen. Gleichzeitig interpretieren wir damit auf einer geistigen Ebene unser Menschsein neu. Alles kann Kunst sein. Nicht nur Skulpturen und Gemälde, Kunst kann eine Geste, ein Ton, eine Linie sein - solange sie uns nur von der Wirklichkeit befreien und auf eine andere Stufe führen. Diese neue Kunst schlägt andere Möglichkeiten vor."

Das sagt Ai Wei Wei, derzeit wohl Chinas berühmtester Konzeptkünstler und Regimekritiker, seit Kurzem mit einer großen Narbe auf der rechten Schädelhälfte, nachdem er sich in München einer Notoperation unterziehen musste, infolge von Misshandlungen durch chinesische Polizisten.

Der 52-Jährige wuchs in der Wüste Gobi auf, wohin seine Künstlerfamilie im Zuge der Kulturrevolution verbannt worden war. Mit Anfang 20 ging Ai Weiwei erst nach Peking an die Filmakademie und 1981 nach New York, wo er in Zeiten des Punks an der renommierten Parsons School Design studierte.

Als sein Vater, der berühmte Dichter Ai Qing, erkrankt, kehrt er 1993 zurück nach China und setzt seitdem vom Stadtrand Pekings aus zum künstlerischen Gegenschlag gegen das Regime an - mit Projekten wie dem Documenta-Happening. Indem Ai 1001 Chinesen, je 200 für je zwei Wochen, nach Kassel bringt, will er ihnen eine Erfahrung von Individualität ermöglichen.

Als Designer und Berater wirkt er am Vogelnest genannten Pekinger Olympiastadion von Herzog & de Meuron mit. Der Experte für traditionelle chinesische Kunst baute seine riesenhafte Skulptur "Template" aus alten Türen abgerissener Hutongs traditioneller Wohnhöfe.

All diese Projekte werden ausgestellt oder dokumentiert im Münchner Haus der Kunst, an dessen Fassade Ai Weiwei mit seinem Team 9000 kleine Rucksäcke anbrachte und so an die Tausende von Kindern erinnert, die bei dem Erdbeben in Sichuan im Mai 2008 in schlecht gebauten Schulgebäuden ums Leben kamen. Ai Weiwei macht sich auch selbst zur Kunst, indem er Fotos aus seinem Leben, beispielsweise von seiner Verhaftung oder seiner Operation, im Internet veröffentlicht.

Sein künstlerisches Vorbild: Marcel Duchamp mit seinen "Ready Mades". Auf Duchamp bezog sich Ai auch gestern bei der Eröffnung der größten Einzelausstellung seines Lebens und beschloss die besucherreiche Vernissage mit einem Punkrockkonzert eines chinesischen Freundes.

Ist das, was Ai Weiwei macht, Kunst? Ist es Punk? Ist es eine Internetrevolution? Was auch immer es ist, dass Ai Weiwei damit von der Wüste Gobi bis nach Kassel zur Documenta, bis ins Münchner Haus der Kunst gekommen ist, ist ein kleines großes Wunder, von denen es so viele gibt, wie Ai Weiwei meint.

"It's a miracle."
Mehr zum Thema