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Verirrte Leute wollen gefunden werden

Cafétisch und Stühle auf einer Terrasse
Kaffeehausphilosophen: Im Ratgeberbuch von John Strelecky treffen sich Sinnsucher in einem Café, um ihren "Zweck der Existenz" zu erfahren. © dpa / picture alliance / Robert B. Fishman
Von Thorsten Jantschek · 21.05.2015
Im fiktiven "Café am Rande der Welt" stranden Sinnsucher und stellen die großen Fragen. Die Antworten gibt der amerikanische Lebenskunstguru John Strelecky, der auch die entsprechenden Seminare in Deutschland anbietet − ein Neueinsteiger in der Ratgeber-Bestenliste des "Focus".
Nein, ein üblicher Ratgeber ist dies nicht. Der amerikanische Sinncoach und Lebenskunstguru John Strelecky entführt uns an einen mythischen, fiktiven Ort, das "Café am Rande der Welt", das von Casey betrieben wird, die die Gedanken ihrer Gäste lesen kann, in dem John ankommt, der schon öfter Gast war und nun wohl Sinnstiftungsmitarbeiter wird, und Jessica, die total gestresst und unglücklich ist, strandet ebenfalls hier.
"Dies ist der Ort", heißt es in diesem Buch, "an den verirrte Leute kommen, um gefunden zu werden." Es ist natürlich der Ort, den man betritt, wenn man aus dem Alltagsleben, dem Stress austritt und sich die großen Fragen stellt. Und die werden hier in unendlich langen Dialogen ausgebreitet, die zu sehr übersichtlichen, in Formeln verpackten Antworten kondensieren.
Eine dieser Formel lautet "ZDE", was "Zweck der Existenz" bedeutet und die Aufforderung beinhaltet, sich in jedem Moment dieses Zwecks zu versichern, um entscheiden, ob man, was man gerade tut, wirklich tun will. Und wichtiger noch sind die "Big Five for Life", die fünf Ziele, die man im Leben erreichen will, zu identifizieren und seine Energie zu bündeln, um sie zu erreichen, egal ob es sich dabei um eine Fahrradtour durch Nebraska oder die Gründung eines Unternehmens handelt.
Ein Ziel übrigens, das John Strelecky verwirklicht hat. Sein Unternehmen hat mittlerweile auch eine Niederlassung in Deutschland und bietet Seminare für Sinnsucher an, worauf am Ende des Buches "dezent" hingewiesen wird. Und wenn alles gut geht, ist der Leser so angefixt, dass zu den "Big Five for Life" gewiss vier Seminare gehören, die zwischen 245 und 1445 Euro teuer sind.
Gesellschaftliche Hindernisse blendet Streckely aus
Wendet man dagegen ZDE auf dieses Buch an, müsste man es schnell zur Seite legen, denn der Zweck zumindest meiner Existenz wird nicht darin bestehen, auf die "Alles ist möglich"-Ideologie aufzuspringen. Dass es womöglich nicht nur psychologische Hindernisse auf dem Weg zur Selbstverwirklichung gibt, sondern etwa auch gesellschaftliche, blendet Strelecky im Blick auf sein zahlungskräftiges Seminarpublikum komplett aus.
Und unwillkürlich kommt einem der berühmte Satz von Theodor W. Adorno in den Sinn, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Selbstverwirklichung oder Sinnsuche besteht wohl eher darin, auch mit den falschen Verhältnissen irgendwie zurechtzukommen.

John Strelecky: Wiedersehen im Café am Rande der Welt
DTV, 288 Seiten, 14,90 Euro

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