Aus den Feuilletons

"Zum Wohle, Herr König!"

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Noch einmal anstoßen mit Günter Grass ... © picture alliance / dpa / Arne Dedert
18.04.2015
Es sind die Toten, mit denen die deutschen Feuilletons in dieser Woche aufgemacht haben: Percy Sledge, Klaus Bednarz und Günter Grass. Der SPIEGEL lässt dabei den Nobelpreisträger selbst erzählen, um noch einmal mit ihm über seine Sektlaune am Schwedischen Hof zu lachen.
Vom "Soul-Bruder" mit "seiner gefühlvollen, unendlich schmeichlerischen Stimme" nahm die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Abschied – vom "heilkräftigen Percy Sledge", der am Dienstag mit 73 Jahren in Baton Rouge, Louisiana, verstarb. Der Sänger von "When a Man Loves a Woman", aufgenommen 1966, "mit seinem immer etwas froschig klingenden Gesang", den die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG attestierte.
Am selben Tag starb im Alter von 72 Jahren in Schwerin der "Teamspieler und Einzelgänger", so die SÜDDEUTSCHE, "viele Jahre eines der wichtigsten Gesichter der ARD" und "ein stiller Erzähler": der langjährige WDR-Journalist und "Monitor"-Moderator Klaus Bednarz. "Unerbittlich im Pullover", den nicht nur die BERLINER ZEITUNG, sondern alle Nachrufer erwähnten; "Mann mit der Mahnerrolle gegenüber den Mächtigen in Politik, Wirtschaft, Kirche", so der Berliner TAGESSPIEGEL.
Es war die Woche der Nachrufe im Feuilleton, wie wir es wohl kaum jemals erlebt haben: wegen des anderen Verstorbenen. "Günter Grass war ein Verwandlungskünstler, einer, der die Welt auf den Kopf stellte mit seiner Kunst, mit seinem Schreiben", lesen wir in der neuen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.
"Einer, der an die Kraft der Literatur, die Kraft der Fiktion, die Kraft der Worte glaubte wie kein anderer", meint Volker Weidermann. "In der 'Tagesschau' von Montagabend war Grassens Tod die erste Meldung", hieß es in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"Anschliessend sendete die ARD Volker Schlöndorffs Verfilmung der 'Blechtrommel'. Man weiß, was einem Nobelpreisträger gebührt", schrieb Joachim Güntner: "Er teilte aus und musste einstecken, war freimütig, dies jedoch nicht genug gegen sich selbst. Die Nachrufe tun sich schwer, Günter Grass auf eine einheitliche Linie zu bringen." Da waren die Freunde. "Er war nicht der fröhliche Rentner. Er hat bis zur letzten Minute gearbeitet und gekämpft", sagte der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, der BERLINER ZEITUNG.
"Zur Zärtlichkeit von Günter Grass" schrieb der Schriftsteller Benjamin Lebert in der Wochenzeitung DIE ZEIT dem "tapferen, grollenden, Worte speienden Geist" eine postume Liebeserklärung. Kollege Martin Walser stimmte ebenfalls in der ZEIT auf seine Weise ein: "Sobald mehrere zugegen waren, zeigte sich Grass als der, der bestimmte. Eine Art lyrische Herrschsucht. Die genoss ich sogar, weil er in seiner Szenenbeherrschung nie peinlich war. Wie er an einem solchen Abend in seinem Haus jeden Augenblick zur Selbstinszenierung nutzte, war immer schön. Das war ihm gegeben, tonangebend und liebenswürdig zu sein."
Dass er bei der Todesnachricht "wie ein Schlosshund geheult habe", bekannte der "Blechtrommel"-Regisseur Volker Schlöndorff. "Nie hätte ich gedacht, dass es mich so treffen würde", schrieb er in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN und berichtete dann von einem "Herrenabend" in Berlin-Charlottenburg:
"22. Etage Penthouse, 3-Sterne-Koch, Pianistin, Weine von 1918"; von dem er wiedergibt, was die anwesenden Herren "Schirrmacher, Joffe, Döpfner, Ringier, Karasek, Raue" – also auch aus den Chefetagen von FAZ, Bild und ZEIT – in dessen Abwesenheit so alles über Günter Grass erzählten. Wer die Plaudertasche Volker Schlöndorff zu einem intimen Herrenabend einlädt und auf seine Verschwiegenheit hofft, ist selber schuld. Ein Hauptthema der intellektuellen Veranstaltung geselliger Art zu Charlottenburg war Günter Grass und Israel, Günter Grass und seine jugendliche Zugehörigkeit zur Waffen-SS.
"Der öffentliche Grass, der als moralische Instanz auftrat, hatte sie mehr als sechzig Jahre lang verschwiegen", erinnerte die FRANKFURTER ALLGEMEINE, der er 2006 im Interview davon erzählt hatte: "die Enthüllung einer Tatsache, die alles in Frage stellte, was Grass als öffentliche Person für sich in Anspruch nahm", so jetzt Andreas Platthaus in seinem Nachruf.
"Nicht das Faktum selber mochte man dem damals 17-Jährigen ernsthaft vorwerfen", meinte Roman Bucheli in der NEUEN ZÜRCHER: "Dass er es so lange verschwiegen hatte, dass er sich in all dieser Zeit die Rolle eines moralischen Gewissens hatte aufdrängen lassen und dass er das Eingeständnis zuletzt mit so viel Aplomb wie Uneinsichtigkeit vorgetragen hatte."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN wiederum trat "meinem Freund Günter Grass" der Literatenkollege Salman Rushdie zur Seite: "Später, als er vielfach als Nazi und Antisemit verunglimpft wurde, dachte ich: Lasst die Bücher für ihn sprechen, die größten antinazistischen Meisterwerke, die je geschrieben wurden."
Reden wir abschließend nur besonders Gutes. An den "leisen, aufmerksamen und sehr behutsamen Freund" und vor allem an den Koch erinnerte der Schriftsteller Peter Härtling: "Den Hunger seiner Gäste stillte er spätabends mit einer Linsensuppe, die für einen beschwerten Schlaf sorgte", war in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN zu lesen: "Die jeweiligen Einlagen überraschten mich: anstatt der üblichen Würstchen Rinderzunge oder Fasan."
Die letzten Worte gehen an ihn. Auf 13 Seiten Nachruf bringt der neue SPIEGEL auch Zitate aus SPIEGEL-Gesprächen im Laufe der Jahrzehnte. "Ich hatte meine Rede gut vorbereitet und mir extra einen Frack schneidern lassen", erinnerte sich Günter Grass 2009 an die Nobelpreis-Feierlichkeiten. "Aber beim Festessen habe ich mich dann doch etwas danebenbenommen. Ich hob einfach mein Glas und sagte: 'Zum Wohle, Herr König.'"
De mortuis nil nisi bene.
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