Aus den Feuilletons

"Xenophobie ist immer noch wirksam"

Demonstration von Pegida-Anhängern in Dresden am 26. Oktober 2015
Demonstration von Pegida-Anhängern in Dresden am 26. Oktober 2015 © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Klaus Pokatzky · 29.11.2015
Mit Zitaten aus dem Jahr 1972, die aber auch von heute sein könnten, tischt die "taz" der Leserschaft ein Rätsel auf. Im "Tagesspiegel" erzählt eine Frau mit dem Vornamen Isis, welche Freundschaftsanfragen sie auf Facebook erhält.
"Alles schon mal da gewesen." Das rief uns die Tageszeitung TAZ zu. "Haben Sie auch so oft Déjà-vu-Erlebnisse beim Zeitunglesen? Kein Wunder, ähnliche Berichte über Flüchtlinge, Koalitionsstreit und Integrationsfragen gab es früher schon." Und deshalb schickte uns die TAZ auf eine rätselhafte Reise in die mediale Vergangenheit der letzten Jahrzehnte – mit 16 Zitaten aus Artikeln und jeweils drei Antwortvarianten. Beispiel: "Kein Land kann ungestraft mehr Gäste aus diesem oder jenem Anlass beherbergen, als es wirtschaftlich, aber vor allem auch geistig verkraften kann. Xenophobie ist immer noch wirksam." Frage: Stammt dieses Zitat aus der "Frankfurter Allgemeinen" von 1972 zu unseren damaligen "Gastarbeitern", aus dem Spiegel 1991 zu steigenden Asylbewerberzahlen oder aus "Focus" in diesen Tagen? Antwort: Das Zitat ist 43 Jahre alt und wurde 1972 gedruckt. Alles schon mal dagewesen. Alles? "Ich heiße Isis. So wie die Terrorgruppe." So stellt sich Isis Lutz aus Berlin vor, bei deren Geburt der Name Isis noch so schön nach Mozarts "Zauberflöte" klang: "Meine Eltern sind sehr spirituell und haben sich unter anderem mit der ägyptischen Mythologie auseinandergesetzt, wo Isis die Göttin der Fruchtbarkeit ist", erzählte Isis Lutz dem Berliner TAGESSPIEGEL. In den digitalen Netzwerken gesperrt wurde sie noch nicht: "Dafür bekomme ich aber auf Facebook immer wieder Freundschaftsanfragen von Männern, die auf Arabisch schreiben und mit Maschinengewehren posieren." So was gab es früher nicht.
"Im Herbst 2015 haben wir in bestimmten Städten zu bestimmten Zeiten No-go-Areas für Journalisten." So zitierte der TAGESSPIEGEL den Deutschen Journalistenverband. "Immer häufiger Attacken gegen Journalisten und Redaktionsbüros", schrieb Matthias Meisner: "Bei rechten Demonstrationen, etwa der AfD und von Pegida, häufen sich Angriffe gegen Pressevertreter." Und in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wurde Uta Deckow vom Mitteldeutschen Rundfunk zitiert, vor der sich bei einer Demonstration ein Pegida-Ordner aufbaute "und erklärte, er habe noch nie eine Frau geschlagen, für mich mache er gerne eine Ausnahme." Vielleicht ändert sich das ja jetzt, nachdem die AfD-Vorsitzende Frauke Petry am Freitag bei der Lügenpresse tanzte – nämlich auf dem Bundespresseball in Berlin das alternative Tanzbein schwang. "Offenbar brodelt es in Sven Petry", war in CHRIST UND WELT zu lesen – der Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Er hat angefangen, für Flüchtlinge Partei zu ergreifen", schrieb Anne Hähnig über den sächsischen Pfarrer, dessen Ehefrau und AfD-Pressetänzerin sich vor einigen Wochen von ihm getrennt hat. "Wer Sven Petry über Flüchtlinge reden hört, der muss zu dem Schluss kommen, dass er die Art und Weise, wie die AfD Schlagzeilen macht, für unvereinbar hält mit seinem Glauben", erfuhren wir noch aus Christ und Welt und dieses Zitat aus dem Munde des protestantischen Pfarrers: "Wenn jemand in friedlicher Absicht vor der Haustür steht, dann hat man ihn zunächst einmal hereinzulassen. Ich wüsste nicht, wie man von einem christlichen Standpunkt aus ernsthaft zu einem anderen Schluss kommen kann." Andere kommen – von welchem Standpunkt aus auch immer – zu ganz anderen Schlüssen.
"Diese Menschen wollen keine Veränderung", lasen wir in der TAZ. "Und was gerade in Deutschland läuft, treibt sie fast in den Wahnsinn", sagte im Interview Sabine Bode, die Bücher geschrieben hat über die deutsche Kriegsgeneration und die Nachkriegskinder – und die sich intensiv beschäftigte mit den traumatischen Folgen, die Flucht und Vertreibung bei vielen hinterlassen haben: "Ich glaube, dass gerade ältere Menschen in Deutschland die Flüchtlinge deshalb nicht mit offenen Armen willkommen heißen, weil sie nicht wollen, dass die Themen Krieg und Flucht noch einmal in ihrem Leben auftauchen."
Unsere zeitgenössischen Traumata sind mit dem Vornamen von Isis Lutz aus Berlin verbunden – mit dem sogenannten Islamischen Staat. "Wer verstehen will, was da tatsächlich passiert, dem empfehle ich, den Roman ‚Der Geheimagent' von Joseph Conrad zu lesen, geschrieben 1907", sagte im Interview mit der Tageszeitung DIE WELT der englische Schriftsteller Martin Amis: "Dort gibt es einen Professor, der erklärt, dass Terroristen deshalb so mächtig sind, weil sie den Tod mehr verehren als das Leben." Kaum ein Feuilleton der vergangenen Woche, das nicht mindestens ein Interview zum Terror von Paris und seinen Folgen brachte. "Solche Bilder hat es seit 1945 nicht mehr gegeben, mit den vielen bewaffneten Soldaten, den Panzerfahrzeugen, der Polizei überall", war im TAGESSPIEGEL über die Lage in Belgien und seiner Hauptstadt Brüssel im Ausnahmezustand zu lesen: "Mein Sohn kann nicht mehr an die Universität gehen, Schulen, Kindergärten sind geschlossen, die U-Bahn fährt nicht", sagte der belgische Schriftsteller Stefan Hertmans. "Aber es ist trotzdem unser Leben, das wir wie bisher führen wollen, das wir uns von den Salafisten und Terroristen nicht kaputtmachen lassen wollen."
Einer der Allerersten, die den islamistischen Terror am eigenen Leib erfahren mussten, wird im neuen SPIEGEL befragt. "Ich erinnere mich an das England der Siebzigerjahre, als ich dort lebte und das Land von den IRA-Bomben erschüttert wurde. Es gab jede Menge Bombenanschläge auf Demos und Pubs", sagt Salman Rushdie. "Aber die Engländer haben die Zähne zusammengebissen und einfach weitergemacht wie zuvor. In Paris scheint es ähnlich zu sein. Wissen Sie, ich mag dieses Hashtag ‚Je suis en terrasse' – ‚Ich bin auf der Terrasse'".
Treffen wir uns da.