Aus den Feuilletons

"Wummern" und janz schön viel Icke

Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, steht zur Eröffnung des Start-up-Zentrums "Factory Berlin" in Berlin in den Räumlichkeiten der Internetfirma "Soundcloud" vor einem Konferenzraum mit dem Namen "Kreuzberg".
Er tritt ab: Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister. Wer wird ihm nachfolgen? © dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka
Von Arno Orzessek · 30.08.2014
Die Feuilletons befassen sich mit Wortschöpfungen des Ersten Weltkriegs, lüften das Geheimnis, warum Richard Attenborough Margaret Thatcher Darling nannte und sinnieren über ein Berlin ohne Klaus Wowereit: Viel Icke war mal, kommt jetzt mehr Polit-Profil?
Beginnen wir "In Wortgewittern".
So nannte – in Anlehnung an Ernst Jüngers Blut- und Bomben-Oper "In Stahlgewittern" – die Tageszeitung DIE WELT ein Glossar von Wörtern, die ohne den Ersten Weltkrieg womöglich nie zur Sprache gekommen wären... Darunter auch das akustisch attraktive Verb wummern.
WELT-Autor Matthias Heine erklärte:
"Der Begriff wurde von den Soldaten im Ersten Weltkrieg geschaffen, um ‚das eintönige Rollen und Stampfen des Artilleriefeuer' zu bezeichnen, das man schon abseits der Front hört. [Ernst] Jünger erklärte es: 'Für dieses ferne Brodeln des Kanonendonners hatten wir den klangvollen Ausdruck ‚es wummert' geprägt.'"
'Dicke Luft' ist laut WELT ebenfalls eine sprachliche Ausgeburt des 1. Weltkriegs...
Und darum sagen wir: Was die umstrittene Frage nach der Kriegs-Verantwortung angeht, herrscht weiterhin dicke Luft.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG resümierte der Historiker Dominik Geppert jüngere Literatur namentlich von Christopher Clark und Herfried Münkler, nach der Deutschland Mit-Verantwortung, aber keine Alleinverantwortung für den Kriegsausbruch hatte - und seufzte:
"Manche Historiker wollen das nicht wahrhaben."
Fachkollege Heinrich-August-Winkler fühlte sich gefoppt genug, um Gepperts Entschuldungslust – ebenfalls in der SZ - mit einem Goethe-Zitat zu verspotten: "‚Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter!'"
Zur Sache selbst äußerte Winkler:
"Der Militarismus war ein gesamteuropäisches Phänomen, aber nirgends prägte er die Gesellschaft so stark wie im wilhelminischen Deutschland. Kriegsparteien gab es überall, aber in keinem anderen europäischen Land war ihr sozialer Rückhalt und ihr politischer Einfluss so breit wie im Deutschen Reich."
100 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkriegs sind wir – wie die Wochenzeitung DIE ZEIT zuspitzte – "von Kriegen umzingelt", zumal von religiös motivierten.
Im Gespräch mit dem Schriftsteller Sherko Fatah, dem Sohn einer Ostdeutschen und eines Kurden, bemerkte die ZEIT:
"In Deutschland wird gern gesagt: Der Islamismus habe nichts mit dem Islam zu tun. Irgendwann erscheint dieses Mantra ein wenig absurd, wenn man sieht, wie fast alle Krisenregionen der Welt von Nigeria bis Pakistan auf der islamischen Achse liegen."
Fatah entgegnete:
"Um nicht kollektive Feindbilder zu befördern, empfiehlt sich die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus durchaus. Aber natürlich ist der Dschihad eine radikalisierte Form des Islam, die einen gewissen religiösen Appeal hat – auch für Europäer. Es ist ja nicht so, dass diese jungen Gotteskrieger Bücher lesen wie einst die Kommunisten und sich in Kaderschmieden ausbilden lassen. Nein, die radikalisieren sich selbst, weil sie eine religiöse Praxis in den Moscheen pflegen. Da sitzen die Prediger, da werden sie scharfgemacht. Und dann kaufen sie ein Ticket in Richtung Süden."
Über das Töten diesseits des Krieges, genauer: über "Das selbstbestimmte Ende" mittels Sterbehilfe, dachte in der BERLINER ZEITUNG der Philosoph Michael Quante nach und argumentierte:
"Dürften Ärzte in Einzelfällen aktive freiwillige Sterbehilfe leisten, entfiele die Notwendigkeit, sich der Unterstützung von Sterbehilfevereinen zu bedienen. Wäre das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben in dieser Form gewährleistet, löste sich zugleich ein Großteil der ethischen Legitimation für solche [Hilfsvereine] auf."
Nach langer Krankheit gestorben ist Sir Richard Attenborough; er wurde neunzig Jahre alt.
Der Regisseur von "Gandhi" und "Schrei nach Freiheit" war für die SZ ein "Gefühlsmensch mit eisernem Kern" und für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG "Der Geschichtenerzähler".
Die WELT indessen staunte: "Er nannte Mrs Thatcher ‚Darling'" – und das kam laut Hanns-Georg Rodek so:
"1990 – die Filmproduktion in England war wegen Finanzierungsproblemen nahezu zum Stillstand gekommen – führte [...] [Attenborough] eine Industriedelegation an, die Margret Thatcher um Hilfe bitten wollte. 'Warum sind Sie nicht Jahre früher gekommen?' fragte sie scheinheilig. Attenborough setzte sein charmantes Grinsen auf: 'Weil man mich nicht gefragt hat, Darling.' Das 'Darling', muss man wissen, benutzte er häufig, weil er sich Namen schlecht merken konnte. Den von Thatcher dürfte er kaum vergessen haben, es war eine strategische Formulierung. Kurz darauf gab es die ersten Steuerbegünstigungen für Investitionen in britische Filmprojekte."
Die Nachrufe auf Attenborough fielen sehr freundlich aus – unfreundlich wurde dagegen einigen lebenden Künstlern mitgespielt.
"Judith Hermann hat zwei Probleme: Sie kann nicht schreiben, und sie hat nichts zu sagen",
wetterstrahlte FAZ-Autor Edo Reents und begründete sein Urteil über Hermanns Roman "Aller Liebe Anfang" so gut, dass man es für richtig halten musste.
Weniger barsch ging die Sinologin Minh An Shabó de Bucs in der NZZ mit dem gefeierten Ai Weiwei um – und blieb doch skeptisch.
"Der [drangsalierte] Künstler scheint mit der [chinesischen] Regierung eine gefährliche Schachpartie zu spielen. [...] Bis jetzt kontrolliert er das Spiel: Er plant die Züge, und er besetzt alle Rollen. Insofern ist die Bezeichnung 'Opfer' im Falle von Ai in der Tat falsch gewählt. Was er bisher an Gewalt erfahren musste, nimmt er als gefallene Bauern in Kauf. Der König Ai aber steht stolz und aufrecht auf dem Feld."
Ob sich Klaus Wowereit für einen Künstler gehalten hat – dessen Hauptwerk dann der Touristen-Magnet Berlin wäre –, das ist umstritten.
Fest steht: der Regierende Bürgermeister tritt zurück.
Was soll künftig aus Berlin werden?, fragte die BERLINER ZEITUNG. Die Schriftstellerin Ines Geipel antwortete:
"Das ging doch alles: Berlin ohne Mauer, eine Stadt mit Parks, Charisma und guten Clubs, viel, viel Theater, viel Icke, Schluffi, Kater und Morast. Dann geht doch jetzt auch: weniger verrottete Schulen, weniger genormt hässliche Bausünden, weniger Touri-Kotzen, weniger Pannen, Pleiten und Schlaglöcher, endlich mehr Polit-Profil."
Nun, liebe Hörer, wie immer Ihre Zukunft aussieht – wir wünschen Ihnen, mit einer Überschrift der NZZ:
"Viel Grösse und ein wenig Wahn."