Aus den Feuilletons - Wochenrückblick

Kopf oder Rumpf, das ist hier die Frage

Illustration eines menschlichen Gehirns von der Seite.
Illustration: Seitenansicht eines menschlichen Gehirns © imago/CHROMORANGE
Von Tobias Wenzel · 28.02.2015
Spätestens im Jahr 2017 wird es möglich sein, einen menschlichen Kopf auf den Rumpf einer anderen Person zu transplantieren, behauptet der italienische Neurowissenschaftler Sergio Canavero. Da bleibt die Frage: Was will man lieber, einen neuen Körper oder einen neuen Kopf?
Falls Sie, liebe Hörer, gerade nicht mehr mit dem ausgeleierten Körper Ihres Partners beziehungsweise Ihrer Partnerin zufrieden sind, aber irgendwie doch noch an diesem gewohnten Gesicht hängen, dann gibt es Hoffnung: Spätestens 2017 ist laut dem italienischen Neurowissenschaftler Sergio Canavero die Medizin so weit, um einen menschlichen Kopf auf den Rumpf einer anderen Person zu transplantieren. Darüber berichtete Tilman Spreckelsen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Überhaupt war diese Feuilletonwoche äußerst kopflastig. Es wurde über einen Kinofilm diskutiert, in dem ein Scharfschütze einem Kind in den Kopf schießt. Bei der TAZ steht seit einem Spionageangriff die Redaktion Kopf. Und ein, wie es hieß, "brillanter Kopf" des Feuilletons nahm sich das Leben. Doch der Reihe nach.
Bei der "Nichtigkeitsveranstaltung, bei der gewissermaßen eine Handvoll Millionäre Goldstatuetten unter sich verteilt", wie Barbara Schweizerhof in der TAZ die Oscar-Verleihung nannte, erhielt Clint Eastwoods Film "American Sniper" zwar nur einen Oscar in einer Nebenkategorie, aber im deutschen Feuilleton war er Hauptthema.
"Gnadenlose Hasspropaganda, klarer Antikriegsfilm, Superheldenkino mit realen Soldaten, wichtiges Statement gegen Schusswaffenwahn",
gab Tobias Kniebe in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die kontroversen Meinungen zu "American Sniper" in den USA wieder. Auch die deutschen Kritiker waren gespalten hinsichtlich des Films, der das Leben des realen Scharfschützen Chris Kyle und dessen Einsätze in Afghanistan und im Irak thematisiert.
In der ZEIT konstatierte Martin Seel enttäuscht, Eastwood habe
"am Irakkrieg vorbeigedreht".
"All das, was das Suchtpotenzial des Krieges ausmacht, wird hier affirmativ reproduziert",
kritisierte Andrea Köhler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Anke Westphal verteidigte dagegen den Film in der BERLINER ZEITUNG:
"Patriotismus ist Teil der Lebenswirklichkeit, wenn auch nicht gerade in Deutschland."
Eastwood sei "patriotisch und doch nicht blind", fand auch Hanns-Georg Rodek. In der WELT schilderte er allerdings kritisch jene Szene, in der Kyle einem Kind in den Kopf schießt:
"Tabu gebrochen, weg mit der Humanitätsduselei, es sind neue Zeiten, der Feind zwingt uns dazu."
Manchmal lauert der Feind in den eigenen Reihen. Wie bei der TAZ. Einem Mitarbeiter der Zeitung wird vorgeworfen, er habe monatelang mit Hilfe eines sogenannten Keyloggers heimlich die Tastatureingaben von Kollegen mitgeschnitten.
Laut WELT handelt es sich um den investigativ arbeitenden Sebastian Heiser. "Wo kommen wir denn hin, wenn sich die Journalisten jetzt gegenseitig abhören?", empörte sich der Medienexperte Volker Lilienthal in der FAZ. "Das Redaktionsgeheimnis ist ein hohes Gut", schrieb TAZ-Chef-Redakteurin Ines Pohl und kündigte eine Strafanzeige gegen den Mitarbeiter an. Wollte der vielleicht einen Skandal aufdecken?
"Was sollte es schon weltbewegendes auszuspähen geben, so der Tenor zahlreicher Kommentare, bei einem harmlosen Alternativ-Blatt? Ein paar vegane Geheimrezepte?",
schreibt nun Harald Staun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG und hält dagegen. Staun erinnert an Günter Wallraffs verdeckte Recherche als Hans Esser in der "Bild"-Redaktion. Das Bundesverfassungsgericht habe damals bestätigt, dass Spionage von Journalisten in Redaktionen "unter Umständen" legitim sei, nämlich dann, wenn ein "überragendes öffentliches Interesse" vorliege. Staun fragt nun keck, ob das denn nicht Ziel jedes Journalisten, also auch der TAZ, sei, Arbeiten von ebendiesem überragenden Interesse zu veröffentlichen. Würde ein Richter also eventuell doch seine schützende Hand über die Spionage-Aktion bei der TAZ halten?
"Fritz J. Raddatz ist mit offenem Visier und offenem Herzen durch die Welt gegangen",
schrieb Volker Weidermann in der FAZ in seinem Nachruf auf den Verleger und Literaturkritiker, der sich mit 83 Jahren das Leben genommen hatte. "Mit niemand anderem konnte man auf höherem Niveau so heiter sein", befand Freund und Kollege Joachim Kaiser in der SZ. "Scharfe Zunge, brillanter Kopf", schrieb Gerrit Bartels im TAGESSPIEGEL und erinnerte daran, dass Raddatz ein "Dandy" war.
"Ein 'Gauche Caviar', der zwar bei den 68ern mitmarschierte, aber eben perfekt angezogen und auf dem Bürgersteig gehend, nicht etwa auf der Straße",
fügte Martin Reichert in der TAZ hinzu. Und Arno Widmann verwies in der FRANKFURTER RUNDSCHAU auf die Eitelkeit und das schnelle Denkvermögen des großen Feuilletonisten:
"Sein Gehirn war ein Flipperautomat, in dem viele Kugeln unterwegs waren und dauernd krachte und flackerte es."
Wenn es, liebe Hörer, bei Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin im Kopf nicht mehr so eifrig kracht und flackert, kurz, wenn sie sich einen klügeren Kopf wünschen, aber mit dem Körper ganz zufrieden sind, oder eben umgekehrt, dann naht, wie schon angedeutet, Rettung: Der italienische Neurowissenschaftler Sergio Canavero wird sicher schon bald die Transplantation eines Kopfes durchführen. Tilman Spreckelsen von der FAZ fühlte sich an "Die vertauschten Köpfe" erinnert, eine Erzählung von Thomas Mann. Da werden zwei enthauptete Freunde wieder lebendig. Sita, die mit einem der beiden Freunde verheiratet, aber in den anderen verliebt ist, setzt die Köpfe vor lauter Hektik auf den jeweils falschen Rumpf.
"Der kluge Kopf büßt seinen schwachen Intellektuellenleib ein und sitzt nun auf dem Körper des Kraftprotzes",
schrieb Spreckelsen und gab zu bedenken:
"Das wirft die aparte Frage auf, mit wem Sita nun eigentlich verheiratet ist […]."