Aus den Feuilletons

Wo ist Walsers "Blechtrommel"?

Der Schriftsteller Martin Walser
Der Schriftsteller Martin Walser © dpa / picture alliance / Patrick Seeger
Von Gregor Sander · 23.03.2017
Sehr komisch, tolle Essays zuhauf, kein Stilgefühl: Die Feuilletons begehen den 90. Geburtstag Martin Walsers. Zu uneingeschränkten Lobeshymnen auf den Schriftsteller können sich jedoch die wenigsten durchringen.
"Martin Walser würde, um eine für ihn typische Formulierung zu verwenden, die Gastgeber-Goldmedaille gewinnen."
Das schreibt Walsers chinesischer Übersetzer Huang Liaoyu im Berliner TAGESSPIEGEL und ist damit für die freundlichen Worte zum 90. Geburtstag des Schriftstellers verantwortlich. Denn der Literaturkritiker Gerrit Bartels mag im gleichen Blatt keine Lobeshymne anstimmen:
"Tatsächlich fällt es schwer, einen wirklich großen, alles überragenden Roman von Walser zu benennen. (Tolle Essays gibt es zuhauf!) Die eine 'Deutschstunde' oder 'Blechtrommel', die ihm auch international mehr Ruhm beschert hätte, hat er nicht geschrieben."
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG hat der Schriftsteller und Kritiker Michael Maar Walsers "Ein fliehendes Pferd" zum ersten Mal gelesen. Jahrzehntelang hatte er sich geweigert, weil er ausgerechnet in der FAZ einmal im Vorabdruck von "Die Verteidigung der Kindheit" gelesen hatte und damals beschloss:
"Nein, dieser Autor hatte kein Stilgefühl, das war leider offensichtlich."

"Walser enttäuscht die Lesererwartung aufs Entzückendste"

"Ein fliehendes Pferd" heute gelesen überspringt allerdings dieses alte Urteilshürde von Michael Maar locker:
"Walser enttäuscht die Lesererwartung aufs Entzückendste. Auf dem Höhepunkt der dramatischen Handlung schildert sein Held auf einer halben Seite mit Musilscher Genauigkeit ein Insekt, ein grünes Heupferd, das auf seinem Bettvorleger liegt. Statt dass er daran denkt, wie er gerade seinen alten Schulfreund hat über Bord gehen lassen."
Und so urteilt der Spätleser folgerichtig:
"Falls es noch andere Spätzünder oder Novizen oder Prokrastinierer gibt: Nehmt und lest! 'Ein fliehendes Pferd' ist sehr komisch, sehr schräg, sehr groß."
Damit verlassen wir die Geburtstagsfeier des Provokateurs vom Bodensee, um zu einer gefühlten Provokation in der TAZ zu kommen:
"Reden mit den Rechten",
steht da in der Überschrift, weil Dunja Hayali vom ZDF der "Jungen Freiheit" ein Interview gegeben hat.
"Hey, das ist ihre Sache", stellt Anja Maier fest. "Die Medien sind frei in diesem Land."
Das Interview sei völlig harmlos, stellt die TAZ-Autorin fest, aber sie hätte sich Hayali doch irgendwie anders gewünscht, denn:
"Schon jetzt kann man sagen, wer bei der Sache gewonnen hat. Die 'Junge Freiheit' bringt sich mit ihrem Hayali-Interview ins Gespräch.
Was Anja Maiers Text aufs Schönste beweist.

Wort für "sich zu Hause in Unterhose betrinken"

"Eltern allein zu Haus", ist kein Hollywoodblockbuster, in dem zügellose Eltern endlich die Playstation ihrer Kinder rocken, sondern eine ARD-Miniserie, die am Freitag startet.
"Konzentriert inszeniert (Regie Josh Broecker), auf den Punkt gespielt von Darstellern, die wirken, als ob sie sich mit dem Thema auskennen. Drei dialogbestimmte Drehbücher von Nina Bohlmann; drei unterschiedliche Perspektiven mit demselben Personal, das gelegentlich zusammengeführt wird",
stellt Heike Hupertz von der FAZ fest. Das Serienthema sind verlassene Eltern. Die Kinder sind aus dem Haus und die Alten müssen sehen, wie sie klar kommen. Vor allem miteinander. In der ersten Folge versuchen das "Die Schröders" gespielt von Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer, die auch im wahren Leben miteinander verheiratet sind. Das hat aber leider nicht geholfen, wenn man Silke Burmester von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG glaubt. Zu klischeehaft alles, lautet ihr Urteil, aber es gibt Hoffnung:
"Wie Lichtblicke wirken die Auftritte der Eltern aus den kommenden Filmen, die mit Anna Schudt, Susanna Simon und Walter Sittler toll besetzt sind. Es wäre schön, wenn wenigstens sie die 70er-Jahre-Vorlage aus 'Mann, Mitte 50, Krise' und 'Ehefrau, frustriert' verlassen dürften."
Wer diese Hoffnung nicht teilt, der kann ja lieber lesen. Der Riva-Verlag hat zum Beispiel gerade ein Buch mit einzigartigen Wörtern herausgebracht. Also Begriffen, die es nur in einer bestimmten Sprache gibt und für die alle anderen lange Beschreibungen brauchen. Matthias Heines Kritik in der Tageszeitung DIE WELT entnehmen wir gern das finnische Kälsarikännit. Es bedeutet: "sich zu Hause in Unterhose betrinken".
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