Aus den Feuilletons

Wir heucheln uns gegenseitig etwas vor

Ein flüsterndes Paar
Ein flüsterndes Paar in einer Bar. © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Gregor Sander · 02.09.2015
"Wir leben in einer Zeit der Überinformation und der Dauerkommunikation", schreibt die "Zeit", trotzdem hätten viele das Gefühl, man könne nicht mehr offen reden. Dieser These widmet das Blatt einem ganzen Themenschwerpunkt.
Die Wochenzeitung DIE ZEIT macht sich Gedanken um das "Dauergequassel der Gegenwart" und widmet ihm einen dreiseitigen Schwerpunkt mit folgender Begründung:
"Wir leben in einer Zeit der Überinformation und der Dauerkommunikation. Trotzdem haben viele das Gefühl: Man kann nicht mehr offen reden."
Genau das versucht Iris Radisch aber im Aufmacher des Dauerquasselschwerpunkts mit Worten wie diesen:
"Seitdem Normierung und Kontrolle aber nicht mehr von oben eingefordert, sondern von jedem Einzelnen freiwillig an sich selbst verübt werden, ergießt sich das uneigentliche und heuchlerische Sprechen wie der süße Brei im Grimmschen Märchen bis in die letzten Winkel der Gesellschaft. Zugbegleiter der Deutschen Bahn versuchen sich am Bordmikro als Supergeil-Star Liechtenstein, Verliebte reden über ihre Liebe wie Kreditberater über eine Immobilienfinanzierung, während die Kreditberater sich aufführen, als seien sie Freizeitanimateure in einem Mittelklassehotel."
Und was wünscht sich Iris Radisch statt dessen:
"Das Spiel zu verlassen, den Zugbegleiter um Ruhe, den Kreditberater um Nüchternheit, den Geliebten um Aufrichtigkeit zu bitten, den Voraussetzungen des unechten Geredes zu widersprechen."
Wer das versteht, der versteht dann vielleicht auch die Themen im Dauerquasselschwerpunkt: Eva Hermann und ihre Verschwörungstheorien oder der unsägliche "Hart aber fair"-Talk zum Thema Gendermainstreaming vom März, dem gleich zwei Artikel gewidmet werden. Die Überschrift zum Thema Dauerquasseln in der ZEIT heißt übrigens "Der ganz normale Nulltext".Und dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.
Googles neues Logo
Etwas weggenommen hat sich selbst die Suchmaschine Google. Nämlich die Serifen im eigenen Schriftzug und das beschäftigt alle Feuilletons. Jan Klüveler von der Tageszeitung DIE WELT moniert:
"Google ist zwar Suchmaschinengigant, aber so richtig ist der Marketingabteilung auch nicht eingefallen, warum man das berühmte Logo jetzt verändert hat. Tamar Yehoshua, Googles Director of User Experience, behauptet in einem gut gelaunten Post, eine serifenlose Schrift passe einfach besser zum veränderten Medienkonsum, von Smartphone bis Apple Watch."
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG wird gemutmaßt:
"Vielleicht ist der Schriftzug, den Designer im Netz als einfallslos bemäkeln, eine versteckte Selbstcharakterisierung. Die Schrifttype ohne Widerstriche, sozusagen das Gegenbild der in Brüche und Gegenbewegungen geradezu verliebten Fraktur, heißt nämlich ´Grotesk`."
Andrian Kreye sieht für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG nicht nur eine neue Schrift beim Internetgiganten, sondern verweist auf ein Detail:
"Seine Markenzeichenfamilie besteht neben dem Schriftzug auch aus einem vierfarbigen G und aus vier Punkten in den vier bekannten Google-Farben Blau, Rot, Gelb und Grün. Und damit wäre für Kreye Folgendes vorstellbar: Theoretisch könnte man selbst eine patentierte Zelle mit vier Farbpixeln als Produkt von Google kennzeichnen. Vielleicht sogar ein Atom? Man muss die Zukunft nur weit genug weiterdenken. Genau das ist ja der Wettbewerbsvorteil von Google."
DDR- Satire "Sedwitz" im TV
Das Fernsehen sucht seine Geschichten dagegen mit Vorliebe in der Vergangenheit. Und so startet in der ARD am Donnerstag eine sechsteilige Satire über ein fiktives Dorf an der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland im Jahr 1988. Inklusive Geheimtunnel zwischen den Welten. "Sedwitz" heißt das Dorf und die Serie und Torsten Wahl, von der BERLINER ZEITUNG beschreibt die erste Folge so:
"Ralle", ein DDR-Grenzsoldat, "wagt das Abenteuer: Im NVA-Trainingsanzug und unter dem extrem unauffälligen Tarnnamen ´Ernst Thälmann` lässt er sich von einem leutseligen, aber ahnungslosen Bundesgrenzschützer an eine Coburger Schule fahren und erbeutet einen Zauberwürfel."
Das klingt weder witzig noch historisch und so urteilt dann auch Cornelius Pollmer in der SZ:
"Selbst brauchbare Ideen werden in Sedwitz leider versenkt, bevor sie sich entfalten können."
Mehr zum Thema