Aus den Feuilletons

Wie Putin die Wissenschaft zusammenstreicht

Der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch, 03.09.2014, in der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator.
Der russische Präsident Wladimir Putin © picture alliance / dpa / EPA / ALEXEY NIKOLSKY
Von Gregor Sander · 19.11.2014
Die Moskauer Akademie der Wissenschaften, die einst von Peter dem Großen gegründet wurde, steht vor radikalen Einschnitten. Das und mehr in unserer Kulturpresseschau.
Naht das Ende einer Legende? Oder wie es eine Überschrift in der Wochenzeitung DIE ZEIT ausdrückt: Die letzten Tage der Weisheit? Gemeint ist die Moskauer Akademie der Wissenschaften, und über die hat Sven Behirsch nichts Gutes zu berichten:
Wenn Präsident Putin im Dezember die Vorschläge zur Reform der Akademie vorgelegt werden, ist alles entschieden: Die rund 500 wissenschaftlichen Institute, aus denen die Akademie besteht, werden zusammengestrichen und fusioniert.
1774 unter Peter dem Großen gegründet war die Akademie stets das wissenschaftliche Zentrum des Landes und spielte besonders in der UdSSR eine herausragende Rolle, wie Behirsch betont:
Die vom Regime massiv geförderte Sowjetische Akademie der Wissenschaften, wie sie damals hieß, katapultierte das Land in der Nuklear-, der Wehr- und Weltraumtechnik binnen kürzester Zeit auf Augenhöhe mit der verfeindeten Supermacht USA, ihre Forscher sammelten dutzendfach Nobelpreise ein, und ein 'Akademik' war über alle Standes-, Bildungs- und ideologischen Schranken hinweg grenzenloser Bewunderung ausgesetzt.
Am Beispiel des bedrohten Institutes für Amerika- und Kanada-Studien wird das Dilemma der heutigen Akademie deutlich. Zu gern würde der für die USA zuständige Pawel Podlesnji seiner Regierung weiterhin Amerika erklären:
Die Frage wäre allerdings, so Behirsch in der ZEIT, wie sehr das Institut, dessen Leiter seinen letzten Aufsatz Anfang der neunziger Jahre schrieb und der nach eigenen Angaben kein Englisch spricht, im heißen Konflikt um die Ukraine eine Hilfe sein kann, zumal es in einem Innenstadtpalais residiert, das sich auf dem Moskauer Immobilienmarkt achtstellig verkaufen ließe.
Ganz andere Probleme hat die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach. Sie ist nun Vorsitzende der Kommission für Raubkunst und hat der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ein Interview gegeben:
Worin liegt der Vorteil eines moralisch urteilenden Gremiums aus nur ehrenamtlich tätigen Juristen, Philosophen und anderen Größen aus Politik und Wissenschaft?fragen Heribert Prantl und Kia Vahland und die inzwischen 80-jährige Limbach antwortet:
Der Vorteil ist, dass wir uns nicht davon beeinflussen lassen, dass ein Bild dem Museum, das es jetzt in seinem Besitz hat, sehr am Herzen liegt. Auch spielt für uns – zumeist schon bemooste Häupter – politischer Druck keine Rolle. Bestenfalls sind am Ende beide Seiten glücklich. Das ist leider nur selten so.
Nur in neun Fällen hat die Kommission, deren Empfehlungen keinerlei rechtsverbindliche Kraft haben, zwischen den betroffenen Museen und den Erben vermitteln können. Gut sei, so Limbach, dass die Museen jetzt wenigstens ihre Bestände überprüften auch wenn sie in der SZ auf ein Problem hinweist:
Wir sollten uns hüten, einen Schlussstrich zu ziehen, weil die deutsche Schuld so groß ist. Aber dass es faktisch darauf hinauslaufen wird, das glaube ich schon. Wenn ich bedenke, mit welchen Beweisschwierigkeiten wir fertigwerden müssen. Immerhin sind 70 Jahre ins Land gegangen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat den Vertrag des Berlinale-Chefs Dieter Kosslick bis 2019 verlängert. Hält er diesen ein, wäre er 71 Jahre alt und länger im Amt, als Helmut Kohl Bundeskanzler war. Jan Schulz-Ojala vom Berliner TAGESSPIEGEL beurteilt das so:
Manchen freut’s, dass er bleibt. Das grundsonnige Temperament, mit dem Kosslick die Berlinale seit nunmehr 13 Jahren bestrahlt, hat das Festival nach der Jahrtausendwende unbestreitbar vorangebracht.
Allerdings kann sich der Filmkritiker des Hauptstadtblattes ein großes "Aber" auch nicht verkneifen:
Wettbewerbsprogramme, die – fernab hoher Anfangsziele – keineswegs wie die fröhlich gemeinsam servierte Crème de la Crème aller Festivalsektionen schmecken sondern wie ein schlaffes Soufflé. Und immer mehr internationale Beobachter, die immer deutlicher den schmerzhaft wachsenden Qualitätsabstand zu Cannes beklagen. Kaum jemand hätte Dieter Kosslick da einen Abschied in zwei Jahren verübelt.