Aus den Feuilletons

Wie gefährlich ist "Mein Kampf"?

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Die beiden Bände einer Ausgabe von "Hitler, Mein Kampf - Eine kritische Edition", der kommentierten Fassung der Hetzschrift "Mein Kampf" des späteren nationalsozialistischen Diktators Adolf Hitler. © picture alliance / dpa / Matthias Balk
Von Adelheid Wedel · 08.01.2016
"Er lügt schon wieder" - in der historisch-kritischen Edition von "Mein Kampf" werden Adolf Hitlers Phrasen kommentiert. Das Pamphlet Hitlers wurde gestern veröffentlicht. Die "Süddeutsche" fragt sich, ob die Hetzschrift heute noch gefährlich sei.
Bis zum gestrigen Tag galt Adolf Hitlers "Mein Kampf" als irgendwie auch für die Gegenwart gefährlich, schreibt Jürgen Kaube in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Die uns vorliegenden Feuilletons gehen auf diese spezielle Buchpremiere in München ein und bewerten die Edition. Kaube hebt hervor, dass Hitlers Stakkato der Phrasen in der Erstauflage der historisch-kritischen Edition gründlich gestört wird. Denn unter und neben Hitlers tobender Argumentation läuft gewissermaßen ein Textband, auf dem mit immer neuen Belegen in immer neuen Varianten steht: "Er lügt", "Er betet nach", "Er will die Tatsachen nicht kennen", "Er lügt schon wieder". Das habe nichts mit betreutem Lesen und einer Bevormundung des Publikums zu tun, so Kaube weiter, er log eben nachweislich andauernd, log, was seine Autobiographie anging, was die Geschichte der NSDAP betraf, log politisch und lobte die Lüge unter dem Titel "Propaganda" ganz offen.
Ist "Mein Kampf" heute noch gefährlich, fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Andreas Wirsching, den Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, das die Ausgabe erarbeitet hat. Er antwortet: Hitler reduziert in diesem Buch gewissermaßen exemplarisch seine gesamte Umwelt politisch extrem auf eine Freund-Feind-Konstruktion. Die ganze Komplexität gerade auch der Demokratie und der offenen Gesellschaft wird hier entsprechend reduziert. Und dieses Thema, das Gestalten der Demokratie, ist ja nicht so ganz unaktuell, leider Gottes, fügt der Autor hinzu.
Die ungleichen Göring-Brüder
Schwer zu sagen, was unglaublicher ist, beginnt David Assmann seine Überlegungen zu einem ungleichen Bruderpaar in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Bis heute ist wenig bekannt, dass Hermann Göring, die Nummer Zwei nach Adolf Hitler an der Spitze des NS-Staates, einen Bruder hatte, der Juden vor der Deportation bewahrte, ihnen zur Flucht verhalf und sie aus Konzentrationslagern befreite. Und ebenso unglaublich sei es, so der Autor, dass diese Geschichte bis heute weitgehend unbekannt geblieben ist. Der Film "Der gute Göring" füllt diese Wissenslücke an diesem Sonntag in der ARD. Das Doku-Drama spürt dem nach, erzählt Ursula Scheer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, wie das wohl war: den Feind im Bruder zu sehen und doch Teil einer Familie zu bleiben.
Von Zeitzeugen erfahren wir, Albert Göring hat immer wieder seinen Nachnamen eingesetzt, um Menschen der Gewalt des Regimes zu entreißen. Mehrfach landete er selbst in Gestapo-Haft und wurde von Hermann wieder herausgeholt. Nach Kriegsende verwandelte sich der Name Göring zur schweren Bürde, zwei Jahre saß Albert in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, ehe man ihm seine Nazigegnerschaft glaubte. Im Nachkriegsdeutschland bekam Albert wegen seines Namens keine Anstellung mehr und starb verarmt 1966 in München. Aus der BERLINER ZEITUNG erfahren wir, über den Antrag bei "Yad Vaschem", ihn wie Oskar Schindler oder Otto Weidt als "Gerechten unter den Völkern" anzuerkennen, wird seit Jahren gestritten.
Der Briefroman ist wieder da
Unter der Überschrift Die Wiedergeburt des Briefromans informiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG etwas kritisch über ein neues Buch von Martin Walser. Den Roman "Ein sterbender Mann" beurteilt Roman Bucheli als eine harte Nuss – und ein wechselhaftes Lesevergnügen. Richard Kämmerling meint in der LITERARISCHEN WELT: Walser schickt einen Lebensmüden auf die Suche nach der letzten Rettung. Das Altern und der nahende Tod erzeugen bei ihm als Gegenkraft einen radikalen Vitalismus.
Tunis: Etablierung einer demokratischen Kultur
Zum Schluss noch ein Hoffnungsschimmer in der NZZ. Beat Stauffer meldet sich aus Tunis und berichtet von einem Brückenschlag zwischen Moschee und modernem Staatswesen. In Tunesien will man es versuchen, mit Hilfe von Imamen als Vermittler einer neuen Denkkultur. Ridha Tlili, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Tunis, bekräftigt das: Man schafft keinen demokratischen Übergang ohne demokratische Kultur.
Mehr zum Thema