Aus den Feuilletons

Wie ein vertonter Wikipedia-Eintrag

Die US-Sängerin Madonna bei ihrem Auftritt bei den 57. Grammy Awards in Los Angeles.
Vorwärts geht's auf Madonnas Album "Rebel Heart" bis das Bett zusammenkracht. © picture alliance / dpa / Michael Nelson
Von Arno Orzessek · 03.03.2015
Der Blick in die Zeitungen beginnt im Bett von Madonna und einem Verriss ihres neuen Albums "Rebel Heart". Er endet bei den Selbstmord-Motiven der Chinesen.
"Bis das Bett zusammenkracht",
heißt ein Artikel im Berliner TAGESSPIEGEL ...
Dessen Verwandtschaft mit einem zweiten TAGESSPIEGEL-Artikel sofort ins Auge sticht.
Denn der heißt:
"Und ewig ist l'amour."
Hier wie dort geht es um Frauen, die seit Jahrzehnten von Liebe und anderen Dingen singen: um Madonna und Mireille Mathieu.
Vom neuen Madonna-Album "Rebel Heart" lässt Sebastian Leber indessen nur das Eröffnungsstück "Living for Love" gelten.
"Leider folgt dann nicht endenwollender Durchschnitt. Sicher, 'Rebel Heart' kann Laune bereiten. Als musikalisches Prozac. Als Endorphin-Tralala. Es klingt stellenweise wie Kylie Minogue der nuller Jahre, minus den Charme, minus die Spritzigkeit."
Madonnas Album sollte intim werden – Leber lästert, es sei so intim, "als hätte sie ihren eigenen Wikipedia-Eintrag vertont."
Unvermeidlich singt die Queen of Pop auch über ihr Unterleib-und-Magen-Thema – weshalb bei Sebastian Leber Hoffnung aufflackert:
"Das kann Madonna doch, denkt man zuerst. Heimspiel. Immerhin sind Lust und Begehren seit jeher Hauptmotive ihres Schaffens, sie hat das Bild der Frau als selbstbestimmtes sexuelles Wesen mitgeprägt."
Aber, ach! Was singt Madonna tatsächlich?
Sie singt: "Oh my God, you´re so hot" oder: "Oh my God, soaking wet. Back and forth 'till we break the bed", treibt's also rückwärts und vorwärts im "Fifty Shades of Grey"-Ekstase-Stil, bis halt, ujujujuiii, das Bett zusammenkracht ...
"Wahnsinn",klatscht Leber Beifall. "Madonna beschränkt sich im Schlafzimmer nicht auf die Missionarsstellung. (...) Es muss eine regelrechte Orgie gewesen sein."
Die Stimme von Mireille Mathieu kann tanzen
Zart statt hart geht TAGESSPIEGEL-Autorin Anke Myrrhe mit Mireille Mathieu um, die in Berlin ihr 50. Bühnenjubiläum feiert:
"Wenn auch der Rücken langsam schlapp macht – die Frau wird nächstes Jahr 70 – so hat die Stimme nichts von ihrer Kraft verloren. (...) Der Grat zwischen Chanson und Schlager ist schmal, und Mireille Mathieu versteht es wie keine zweite, darauf zu tanzen."
Wenn Kino tröstlicher ist als die Wirklichkeit
"Der Schmetterling sagt dir, wenn es Zeit ist zu gehen" heißt nicht etwa ein Mathieu-Song, sondern der Lobgesang, den Andreas Kilb in der FRANKURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf Julianne Moore anstimmt.
Und zwar für deren Rolle als Alzheimer-Patientin in dem Film "Still Alice".
"Zum Beispiel die Szene (...), in der Alice beim Joggen auf dem Campus (...), wo sie Linguistik lehrt, die Orientierung verliert. Eine Schauspielerin, die es auf theatralische Wirkung anlegte, würde jetzt die Augen aufreißen, ihren Atem beschleunigen und ihren Kopf in alle Richtungen drehen, um den Eindruck tiefer Hilfslosigkeit zu verstärken. Julianne Moore tut erst einmal nichts. Sie schaut noch nicht einmal um sich. Sie starrt vor sich hin. Sie gefriert. Und in diesem vereisten Zustand entfernt sich die Welt von ihr."
So der FAZ-Autor Kilb.
Auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG findet den Film "ganz großartig":
"'Still Alice', der Titel, mutet fast ein bisschen ironisch an, denn wir sehen ihr ja beim Verschwinden zu. Er ist dann aber doch ganz ernst gemeint, denn Alice bleibt immer mehr als eine leere Hülle. Dieser Glaube an die Unzerstörbarkeit der Seele, der hat dann vielleicht mehr mit Kino zu tun als mit echter Erfahrung – aber auch dafür ist das Kino ja da. Dass es manchmal ein wenig tröstlicher ist als die Wirklichkeit",
freut sich Susan Vahabzadeh.
Als Weg aus jeglicher Ausweglosigkeit gilt vielen der Suizid.
Auf eine Besonderheit weist jedoch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG hin:
"Chinesen legen aus anderen Gründen Hand an sich als Menschen im Westen."
"Studien zeigen, dass 90 Prozent der Suizide im Westen in engem Zusammenhang mit psychischen Krankheiten stehen, während in China dies bei lediglich 60 Prozent (...) der Fall zu sein scheint. (...) Man geht in China davon aus, dass eine Person vor allem deshalb ihr Leben freiwillig beendet hat, weil sie an konkreten Alltagsproblemen verzweifelt war. Das impliziert, dass stets jemand mitschuldig ist an der Tat."
Nun denn. Wir haben in Madonnas Bett begonnen – und sind beim chinesischen Selbstmord gelandet.
Gern würden wir jetzt zum Frivolen zurückkehren – aber schon drängelt sich unser letztes Wort auf die Zunge: Tschüss!
Mehr zum Thema