Aus den Feuilletons

Wie der Ramadan die deutschen Sieg-Chancen beeinflusst

Algerische Spieler feiern das 1:0 im WM-Spiel gegen Belgien in Belo Horizonte.
Algerische Spieler bejubeln einen Treffen im WM-Spiel gegen Belgien. © dpa / picture alliance / Dennis Sabangan
Von Tobias Wenzel · 29.06.2014
Die Kulturpresseschau dreht sich unter anderem um ein "Focus"-Interview mit dem Schriftsteller Günter Grass, mit einem Nachruf auf den Soulmusiker Bobby Womack in der "Welt" und mit einem "FAZ"-Artikel auf das bevorstehende WM-Duell der deutschen Mannschaft gegen Algerien.
"Nun sag, wie hast du's mit der Religion?",
fragt Uwe Wittstock im Interview für den FOCUS den 86 Jahre alten Günter Grass. Jedenfalls sinngemäß.
Bei Wittstock klingt das so:
"Gibt es für Sie religiöse Gewissheiten, die beim Gedanken an den Tod Trost geben?"
"Nein",
antwortet Günter Grass.
"Allenfalls in Märchenform: Im Buddhismus ist ja davon die Rede, nach dem Tod in anderer Gestalt wiedergeboren zu werden. Mich reizt der Gedanke: Was wäre wünschenswert? Welches Getier, welche Pflanze möchtest du sein. Eine Amöbe?"
Schließlich entscheidet sich Grass für den Kuckuck. Dessen Vorgehensweise, die eigenen Eier anderen Vögeln unterzuschieben, sei für ihn, Grass, eine "verführerische Vorstellung".
Wenn der Soulmusiker Bobby Womack an Wiedergeburt geglaubt haben sollte, dann dachte er, wenn er einen Marder sah, der bekanntlich gerne Eier stiehlt, bestimmt an Elvis Presley.
"Elvis war nicht schlecht", sagte Womack über seinen Kollegen, den er einige Male auf der Gitarre begleitete. "Aber er hatte alles, was er war, geklaut." Auch den Stones warf Womack vor, durch die Aneignung seines Liedes "It's All Over Now" geistigen Diebstahl begangen zu haben. So Michael Pilz in der WELT in seinem Nachruf auf den nun im Alter von 70 Jahren gestorbenen Womack.
"Keiner sang so überzeugend zwischen kühler Eleganz und hitziger Emphase",
schreibt Pilz weiter und verweist auf die Gottesgläubigkeit des Musikers, dessen Karriere im Kirchenchor von Cleveland begann.
Die Seite elf der SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ist komplett religiös gefärbt. Auch hier findet sich ein Nachruf auf den gläubigen, im Leiden geprobten Bobby Womack. Außerdem ein Artikel über einen muslimischen Präsidentschaftskandidaten, der den linken Türken seines Glaubens wegen suspekt ist. Dann noch eine Notiz dazu, dass Marilyn Manson sein Konzert in Moskau absagen musste, weil es eine Bombendrohung gab, nachdem radikale russisch-orthodoxe Christen gegen ihn, der angeblich die russische Jugend verderbe, protestiert hatten.
Und schließlich, wie gesagt, alles auf Seite elf im Feuilleton der SZ, ein Artikel über Amazons Praktiken, Druck auf Verlage auszuüben. Der Quasimonopolist Amazon will noch mehr Rabatte bekommen, vor allem für E-Books. Manch ein Verlag fühlt sich erpresst, weil Amazon für den Fall von Widerstand mit verzögerter Auslieferung der Bücher droht. Nur was hat das bitte mit Religion zu tun?
Die Antwort steht im neuen SPIEGEL. Die Chefs von Amazon, Facebook und Google haben "eine Mission, die größer ist, als der Kapitalismus. Und sie hat religiöse Züge."
Das behauptet Jaron Lanier im Gespräch mit Georg Diez. Lanier ist ein scharfer Kritiker des "digitalen Kapitalismus". Im Oktober erhält er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Amazon, Facebook und Google wollten nicht nur Gewinn machen, sondern eine "bessere Welt" schaffen:
"Manchmal ist es der Glaube, dass Maschinen bald die Welt übernehmen. Manchmal ist es die Überzeugung, dass Computer den Menschen ewiges Leben verschaffen."
Dahinter stehe die Annahme, dass wir Menschen wie Maschinen funktionierten, ja sogar Maschinen seien. Lanier hält dagegen:
"Menschen haben eine mystische Qualität. Verliert man den Glauben an den Menschen, verliert man auch den Glauben an eine Gesellschaft, die den Menschen dient."
"Ist Gott tatsächlich rund?",fragt Dirk Schümer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und trägt damit seinen Part zum religiösen Touch der Feuilletons vom Montag bei, dem Tag, an dem Deutschland bei der Fußball-WM auf Algerien trifft.
Schümer weist darauf hin, dass der Ramadan gerade begonnen hat. Gläubige Muslime, also auch Fußballprofis, dürften nun von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang weder trinken noch essen, fluchen oder Sex haben:
"Während die letzten beiden Gebote bei der WM vielleicht gerade so einzuhalten sind, wird es bei 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit in Brasilien beim Verzicht auf Nahrung und Getränke schnell gesundheitsgefährdend."
Das habe aber auch seine Vorteile:
"Sollten sich [...] einige algerische Spieler wirklich ans Fastengebot halten, steigen die Chancen der deutschen Mannschaft markant, vor allem in der zweiten Halbzeit."