Aus den Feuilletons

"Wichtig war Karasek, dass er den Leser unterhielt"

Von Gregor Sander · 30.09.2015
Die Feuilletons sind voller Nachrufe auf den verstorbenen Literaturkritiker Helmuth Karasek. Matthias Mattusek betrauert in der "Welt" seinen "väterlichen Freund", während Arno Widmann in der "Berliner Zeitung" sein "Katzbuckeln" gegenüber Marcel Reich-Ranicki peinlich findet.
Die TAZ widmet dem verstorbenen Helmuth Karasek gleich drei Nachrufe. In einem davon erklärt Dirk Knipphals, in was für einer Zeit Karasek wurde, was er war. Der zweitbekannteste Literaturkritiker Deutschlands:
"Es war die Zeit, als Literaturkritik noch ein Gespräch war – allermeistens ein Gespräch unter Männern, zwischen den verschiedenen Feuilletons, auf den bereitstehenden Podien – und es ziemlich festlegte Rollen gab. Es gab Weißrücken, Alphatiere, Zuträger, Diven, aufbegehrende junge Männer und Clowns."
Die meisten dieser Rollen habe Karasek gut gespielt, so Knipphals. Matthias Mattusek, Karaseks Nachfolger beim SPIEGEL, betrauert für die Tageszeitung DIE WELT seinen väterlichen Freund und mit ihm diese vergangene Zeit:
"Diesen Verriss des 'Butt' von Grass werde ich nie vergessen. Damals gab es noch Literaturkritik, die sich an Bildungsbürger im besten Sinne des Wortes richten konnte, weil sie selber gebildet war. Wichtig aber war Karasek, dass er den Leser unterhielt. Theorien interessierten ihn weniger, Avantgarde langweilte ihn oft, weil er ahnte, dass sie nicht über den Tag reichte."
Katzbuckeln vor Marcel Reich-Ranicki
Auch Arno Widmann kann man wohl getrost als Alphatier des Feuilletons bezeichnen und so wundert es nicht, dass er neben den vielen Vorzügen des Verstorbenen auch dessen Schwächen in der BERLINER ZEITUNG benennt:
"Entsetzlich peinlich fand ich sein Katzbuckeln vor Marcel Reich-Ranicki im 'Literarischen Quartett'. Mit wie vielen Bücklingen begleitete er, wenn er einmal dem 'werten Marcel' widersprach! Das war mir physisch unangenehm. Gerade weil er oft recht hatte mit seinen Einwänden."
Weshalb Ernährung heute hochpolitisch ist
Vielleicht hätte Helmut Karasek, der als Genussmensch galt, Interesse am Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG gefunden, dass ganz im Zeichen der gesunden Ernährung steht. Als Grund dafür muss das Erntedankfest am 4. Oktober herhalten. Wie schwer es ist überhaupt zu erkennen, was wir da zu uns nehmen, erläutert Kornelius Friz:
"Kalbsleberwurst etwa darf bis zu einem Anteil von 44 Prozent aus Schweinefleisch bestehen, Seelachssalat kommt sogar ganz ohne Lachs aus und wird aus Pollack hergestellt, einer günstigen Dorschart, die eingefärbt wird, um den Verbraucher im Glauben zu lassen, besten Fisch auf dem Teller zu haben."
Einen Artikel weiter wird der Philosoph Richard David Precht gefragt:
"Gibt es das überhaupt, eine ethische Ernährung?"
Prechts Antwort:
"Ich würde sagen: nein. Weil der Mensch sich nicht ernähren kann, ohne Leben zu nehmen, tierisches oder pflanzliches. Und wir haben Anlass, davon auszugehen, dass Pflanzen sehr empfindsame Lebewesen sind."
Der bekennende Vegetarier, Musiker und Autor Jens Friebe sieht das ganz anders. In seinem für die FAZ erstellten Abc für die Freunde der freundlichen Ernährung steht unter A, wie anfangen:
"Die beste Methode, mit dem Vegetarismus anzufangen, ist, mit dem Fleischessen aufzuhören. Schaffen Sie Lebensmittel und Medikamente, die Fleisch enthalten, außer Haus. Falls Sie starker Fleischesser waren, senken Sie die Dosis etappenweise. Wenn Sie es allein nicht schaffen, lassen Sie sich helfen."
Stilbruch bei McDonald's
Nach der Lektüre des FAZ-Feuilletons verwundert es auch nicht, dass selbst McDonald's jetzt Bio-Burger anbieten will. Die TAZ findet das:
"Einerseits radikal marktlogisch; schließlich sprang es ja auch schon auf den Quinoa-Zug auf. Andererseits aber ein völliger Stilbruch, denn wer zu McDonald’s geht, der muss geil sein auf rotzende, absurd große 'Meals' in sich reinstopfende Kleinkinder, Pipi in der Fritteuse, schmerzvolle elektrische Entladungen in der Kinderrutsche und Transformatorfleisch. Ein Besuch bei McDonald’s muss die Axt sein gegen die Geschmacksnerven in uns."
Der letzte Satz hätte vermutlich auch Helmuth Karasek gefallen. Und so soll er hier das Schlusswort bekommen, zitiert aus dem Feuilleton der WELT:
"In unserer Gesellschaft gilt die moralische Regel: In dubio Prosecco."
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