Aus den Feuilletons

"Wer nicht jubelt, ist ein Volksfeind"

Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch, Oktober 2013 auf der Frankfurter Buchmesse
Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch, Oktober 2013 auf der Frankfurter Buchmesse © picture alliance / dpa-Zentralbild
Von Hans von Trotha · 14.04.2014
Ihrer Bitternis über den neuen russischen Patriotismus lässt Svetlana Alexijewitsch in der "FAZ" freien Lauf. Und Rolf Hochhuth malt sich in der "Berliner Zeitung" aus, was passiert wäre, wenn Kalifornien dem Warschauer Pakt beigetreten wäre.
"Ich habe viele meiner russischen Freunde verloren",
schreibt in der FAZ Friedenspreisträgerin Svetlana Alexijewitsch.
"Ich kann diese Begeisterung in den Augen nicht sehen, wenn von 'Anschluss' die Rede ist oder von 'Annexion'."
Ein bitterer, fast verzweifelter Text. Sein Gegenstand:
"Ein ungeheurer Ausbruch von Patriotismus. (…) Wer nicht jubelt, ist ein Volksfeind. Gehört zur fünften Kolonne, zu den Finsterlingen vom State Departement. Das stalinistische Vokabular ist vollständig wiederhergestellt (…) Die roten Fahnen sind wieder da, der ´rote´ Mensch ist wieder da. Alles erweist sich als quicklebendig. Fünfzehn Jahre hat Putin daran gearbeitet."
Mit der Macht haben es die Feuilletons in der Regel nicht so. Wenn aber, so scheint es, dann gleich richtig. In der taz schreibt Cordt Riechelmann über den argentinischen Postmarxisten Ernesto Laclau:
"Es gibt Theoretiker, die sterben, wenn man sie gerade am dringendsten braucht. Das war bei Lenin so und ist jetzt bei Ernesto Laclau, der am Sonntag in Sevilla im Alter von 78 Jahren einem Infarkt erlag, nicht anders. Laclau",
so Riechelmann weiter,
"hatte in den letzten Jahren wieder angefangen, sich mit dem Populismus als politischer Erscheinung und als Begriff auseinanderzusetzen."
Und in der Tat: Populismus allerorten. In der Berliner Zeitung etwa erklärt uns einer die Lage, der es wissen muss, weil er es grundsätzlich weiß, vielleicht nicht genauer, aber auf jeden Fall besser: Rolf Hochhuth. Als Schriftsteller beherrscht er den Vergleich. Und wie. Wo Huchhuth vergleicht, da wächst so schnell kein Gras mehr:
"Genau so",
schreibt er,
"als hätte Kalifornien einst dem Warschauer Pakt beitreten wollen, muss heute umgekehrt auf Russland die Einladung des Westens an die Ukraine wirken, der EU, ja sogar der Nato beizutreten."
Und für den Fall, dass auf den billigen Rängen womöglich jemand zu denken anhebt: der meint das ja nicht so, setzt er gleich nach:
"Das wird westlich der Weichsel so ungern gehört, wie es unerfreulich wahr ist."
Herr Steinmeier, was sagen Sie dazu? Nichts sagt er. Stattdessen lächelt er. Aus der Süddeutschen lächelt er uns kurz vor dem Abflug nach Tokio selig entgegen. Das Bild illustriert Felix Stephans Bericht über eine Tagung in Berlin zur "konstitutive(n) Rolle von Bildern". Unter dem Titel
"Ich seh' etwas, was du nicht siehst"
deutet Stephan den grinsenden Minister:
"Er sieht aus, als könne er sein Glück kaum fassen. Die Szene wirkt ein bisschen so, als hätte der Außenminister den Flug nach Tokio in einem Preisausschreiben gewonnen." Aber, wichtig: "Bei dem Foto (…) handelt sich nicht um einen Betriebsunfall, sondern um offizielle Regierungsästhetik."
In Frankreich herrschte das Regiment des Unterrocks
So etwas gibt es nämlich, und zwar immer schon. Gina Thomas weiß in der FAZ, wie die das in England machen.
"Auf dem britischen Königsthron sitzt seit dreihundert Jahren ein deutsches Adelsgeschlecht", lesen wir.
"Wie es sich dort festgesetzt hat, das zeigen zwei Ausstellungen. London staunt über seine Herrscher."
Das tun die Franzosen schon lange nicht mehr. Während die englischen Könige ihr Weltbild in allegorischen Bildern darlegten, herrschte in Paris das
"Regiment des Unterrocks",
wie Friedrich von Preußen es nannte. Das zitiert Ursula Pia Rauch in der Süddeutschen anlässlich des 250. Todestags von Madame Pompadour.
"Die Marquise und die Macht"
heißt der Text, der erläutert, wie mächtig diese Frau tatsächlich war. Viel mächtiger etwa als die Finnin Elisabeth Rehn, die die taz im Interview hat. Sie war die erste Verteidigungsministerin der Welt.
"Das war keine Macht", findet sie, konstatiert aber immerhin: "Die Armee hörte unter mir auf, nur der Sandkasten für die Männer zu sein, in dem sie ein bisschen spielen konnten".
Außerdem lesen wir: "Ich treffe meine Entscheidungen gewöhnlich vollständig bekleidet."
Das wiederum war bei der Pompadour wohl gerade nicht der Fall, über die Ursula Pia Rauch schreibt:
"Einmal als maîtresse en titre installiert und ausgestattet mit einer schier unbegrenzten Machtfülle, begann ihre Selbstinszenierung."
Womit wir wieder beim grienenden Steinmeier wären, den Felix Stephan so interpretiert:
"Vielleicht verzichtenwestliche Machthaber heute auch deshalb auf starke bildliche Statements: Siewollendas Risikoder Interpretationnicht eingehen und zu keinenMissverständnissen mehr Anlass geben.Der Satz `Hier gibt es nichts zu sehen´ wird heute gleich mitfotografiert: Es gibt nun tatsächlich nichts mehrzu sehen."
Was nicht etwa heißt, dass da keine Macht mehr wäre. Mehr dazu in den Feuilletons des Tages.