Aus den Feuilletons

Wenn es bei Merkel aus der Decke tropft

Das Bundeskanzleramt spiegelt sich in einer Wasserpfütze an einem tristen und schmuddeligen Regentag in Berlin.
Deutschlands wichtigster Neubau soll marode sein: Das Bundeskanzleramt spiegelt sich in einer Wasserpfütze an einem schmuddeligen Regentag in Berlin. © imago/Ralph Peters
Von Arno Orzessek · 10.10.2016
Früher war alles besser: Häuser hatten eine Lebensdauer von rund 100 Jahren - heute halten sie kaum länger als ein Toaster, klagt Gerhard Matzig in der SZ. Bestes Beispiel: Das erst vor 15 Jahren gebaute Bundeskanzleramt.
"Der wichtigste Neubau Deutschlands, das Bundeskanzleramt in Berlin, ist schon nach fünfzehn Jahren marode. Wie kann das sein?"
Diese Frage stellt sich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG unter dem lustigen Titel "Ich will da raus".
Zwar weiß Gerhard Matzig gar nicht genau, warum in Merkels Dienst-Behausung manche Decke undicht, manche Wand feucht und manche Stromleitung reparaturbedürftig ist.
Aber umso entschiedener variiert der SZ-Autor ein weiteres Mal sein architekturkritisches Standard-Lamento:
"Früher wurden Häuser auf rund 100 Jahre abgeschrieben. Dies entsprach ihrer durchschnittlichen Lebensdauer. Heute hingegen hat man es zunehmend mit Baulichkeiten zu tun, die kaum länger halten als ein etwas anspruchsvollerer Toster. In fast jeder Stadt ist ein Bürogebäude, ein Schulhaus, Geschäft oder auch Museum bekannt, das nach kürzester Zeit so müde und ramponiert aussieht, als sehnte es sich nach seinem eigenen Abriss."

Architekten ausbilden, die solide Kanzlerämter bauen

Nach dem Wiederaufbau der Berliner Bauakademie Karl Friedrichs Schinkels, die zur Zeit nur als zombiehafte Folien-Attrappe neben der Baustelle des Stadtschlosses steht, sehnt sich Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung preußischer Kulturbesitz.
Angesichts der SZ-Klage über modernen Bau-Schrott läge es unseres Erachtens nahe, Schinkels Bauakademie, würde sie denn neu errichtet, tatsächlich als Bauakademie zu nutzen. Architekten auszubilden, die solide Kanzlerämter bauen können, das tut ja offenbar not.
Hermann Parzinger bevorzugt im Berliner TAGESSPIEGEL jedoch eine andere Nutzung.
"Begehrlichkeiten gibt es viele, - dabei liegt die Antwort auf der Hand. Es ist doch kaum zu verstehen, dass ausgerechnet eine Stadt wie Berlin kein Architekturmuseum von Rang besitzt. […] Von wo könnte man den Blick besser auf die großen städtebaulichen Projekte Berlins richten als von der Bauakademie aus?"

"Dann könnten Afrikaner zu Hause Geld verdienen"

Aber zurück zu Angela Merkel.
Einerseits neigt das Kanzleramt also zum Tropfen, andererseits – Achtung: raffiniertes Sprachspiel! – übt sie es gerade gewohnt trocken in Afrika aus.
Und dabei schaut ihr die TAGESZEITUNG auf die Finger.
Dominic Johnson fragt sich, ob Deutschland etwa in Äthiopien private Investitionen staatlich vorfinanzieren sollte – so wie es Japan und China in manchen Risikoländern tun.
"Nun könnte man einwenden, in einer Zeit, wo Äthiopier aus Protest reihenweise ausländische Fabriken in ihrem Land anzünden, sei das Gerede von mehr Investitionen Unsinn. Man könnte auch sagen: Deutschland könnte, wenn es sich denn auch in Afrika mit Arbeitgebern und nicht nur mit Soldaten engagieren würde, gutbezahlte und umweltverträgliche Arbeitsplätze schaffen. Dann könnten Afrikaner zu Hause Geld verdienen, statt ihre Kinder zum Ertrinken ins Mittelmeer zu schicken, in der vagen Hoffnung, dass irgendwann eine Überweisung aus Europa zurückkommt."

Diskriminierung durch Frauenquote

Klar! Jeder weiß, wie Johnson das meint… Trotzdem erteilen wir ihm eine Fünf in Sprachgenauigkeit.
Denn kein Afrikaner, der auf Überweisungen hofft, schickt seine Kinder "zum Ertrinken ins Mittelmeer". Und es kommt von den günstigenfalls Unertrunkenen auch keine Überweisung aus Europa "zurück", es ist ja vorher gar keine hingegangen –, sie kommt einfach nur an.
Womit wir den Motzki-Ton angeschlagen haben, den in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG auch der Philosoph und Unternehmensberater Reinhard K. Sprenger bemüht…
Und zwar, um gegen "Frauendiskriminierung" vom Leder zu ziehen.
Bevor sich die FeministInnen unter uns die Hände reiben: Für Sprenger sind die Frauenquote und überhaupt jede Frauen-Förderung die wahre Diskriminierung.
"Es beleidigt doch die Intelligenz […], wenn man ein Gruppenwesen an die Spitze einer Organisation befördern will, das man für so hilflos hält, dass es unterstützt werden muss",
wettert der NZZ-Autor Sprenger.
Nun denn. Ihnen, liebe Hörer, empfehlen wir in diesem Herbst das zu genießen, was der TAZ eine Überschrift wert ist - nämlich "Der Sound des prasselnden Regens."
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