Aus den Feuilletons

Welche Komplimente sind für Frauen erlaubt?

Ein Vorgesetzter spricht mit seiner Angestellten.
Ein Vorgesetzter spricht mit seiner Angestellten: Ist es angemessen, ihr ein Kompliment über ihre Schönheit zu machen? © imago/Westend61
Von Paul Stänner · 25.09.2016
Darf der Chef das Kleid seiner Angestellten loben? Über "die Kunst des zeitgemäßen Kompliments" für Frauen philosophiert Thomas Thiel in der "FAZ". Am Ende rettet sich der Autor hilflos in die Romantik der Literatur.
Am Ende einer Woche, in der in Charlotte im Bundesstaat South Carolina wieder einmal gegen die Erschießung eines Schwarzen durch Polizisten demonstriert wurde, eröffnete Präsident Obama in Washington das "Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur".
Mit diesem Museum, schreibt Dorothea Hahn in der taz, sei die afroamerikanische Geschichte endlich auf der "Wiese" angekommen, auf der das Land sich selbst darstelle. Zwischen der Statue des Sklavenhalters George Washington auf der einen und dem Kongress auf der anderen Seite seien die Denkmäler für gewonnene und verlorene Kriege aufgereiht. Und nun auch das Museum, das die Geschichte der Sklaverei und der Rassentrennung aufzeigt.
Ob es für einen gewonnenen oder verlorenen Krieg steht, denkt sich der Leser, ist noch offen. Kolja Reichert, der für die FAZ dieses Event beschreibt, betont die Hoffnung, denn – so Reichert:
"Im derzeitigen Auseinanderbrechen der Gesellschaft ist der Glaube an die Emanzipationsversprechen des Amerikanischen Traums mit all seiner integrativen Kraft nirgends so lebendig wie unter Afroamerikanern."

Wenn Historiker Politiker beraten

Mit Geschichte beschäftigte sich naheliegenderweise auch der Historikertag in Hamburg. Richtiggehend empört reagiert Hannah Bethke in der FAZ auf die Frage eines Historikers an eine Politikerin auf dem Podium, wo denn die Politikerin mehr Argumente von Historikern für ihre politische Arbeit brauche. "Seit wann", schäumt Bethke, "betrachten es Historiker als ihre zentrale Aufgabe, Politiker zu beraten? Ist das als neues Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft zu deuten?" Die Antwort steht noch aus.
Die FAZ ist irritiert: der amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht sei in Schwierigkeiten geraten, als er zwei Studentinnen, eine davon seine eigene Tochter, als "umwerfend" bezeichnete.
Der Schriftsteller Navid Kermani sei von der Kritikerin Iris Radisch gerügt worden, weil er eine Protagonistin seines Roman "zum Anbeißen" fand. In der Tat reißt die FAZ hier ein drängendes Problem auf: Welche Komplimente sind eigentlich noch erlaubt?

Lob für das Kleid vom Chef?

Der FAZ-Autor unter dem Kürzel tth gibt die Frage an seine Kolleginnen weiter. Kollegin 1 sagt "Schluss mit Komplimenten. Das ist vorbei". Heute zähle das Lob der Leistung, nicht das der Schönheit. Kollegin 2 trennt Ding und Person: Das Kleid dürfte auch vom Chef gelobt werden, die Trägerin aber nur von Freunden. Und so weiter - letztlich kann die FAZ-Umfrage keine Verhaltens-Leitlinie ermitteln, der Autor rettet sich in die Romantik der Literatur, wo Kermanis Protagonistin weiterhin "zum Anbeißen" ist.
In der Neuen Zürcher Zeitung bezieht Claudia Mäder – so scheint es – ihren Standpunkt aus dem Denken des Calvinismus: "Der Geist hat keinen Körper" schreibt sie. Und in der Öffentlichkeit zählt nach ihrer Darstellung nur der Geist.
Zwar räumt sie ein, dass heute ein Lob der Schönheit einer Frau nicht automatisch bedeute, dass die so Belobte auf dieses eine Merkmal reduziert werde. Aber heute gehöre die Öffentlichkeit dem Geist: "der Körper hat in dieser Sphäre schlicht und einfach nichts verloren." Und weiter: "Sein Aussagewert für das, was im öffentlichen Raum von Interesse ist, liegt ganz exakt bei null."

Wieder auf ein Merkmal reduziert?

Man könnte nörgelnd einwenden, dass die Frau, wenn ihr in der Öffentlichkeit der Körper abgesprochen wird (nichts im übrigen tut das deutlicher als die Burka), ob sie nicht bereits wieder auf ein Merkmal reduziert wird – in diesem Fall auf den Geist. Und dass auch das eine Verstümmelung ist.
Eine Lösung ist nicht Sicht. Die Quersumme aus den Artikeln in der FAZ und NZZ führt zu Wittgenstein, der sagte, worüber man nicht reden könne, darüber müsse man schweigen.
Also kein Wort mehr über die Schönheit der Frauen.
Als würde das die Welt besser machen.
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