Aus den Feuilletons

Was genau ist konservativ?

Ramponiertes Werbeplakat mit Frauenbeinen und Männerbeinen in Bad Aibling, Bayern.
Der Mensch brauche ein Grundgefühl der Sicherheit, dass ihm seine Welt auch im Wandel nicht abhandenkommt, heißt es in der "FAZ". © imago / Ralph Peters
Von Hans von Trotha · 01.03.2016
"Angst essen Deutschland auf" titelt die "FAZ". Sie plädiert für einen "vernünftigen Konservatismus", der den Menschen in Zeiten des Wandels ein Gefühl von Sicherheit gäbe.
Ein guter Tag für Feuilleton-Leser: Heute bekommen wir richtig was erklärt. Und vielleicht ist das ja der erste Schritt zur Lösung aller Probleme.
In der WELT erklärt uns Hans-Georg Radek, wie die Stimmauszählung bei der Oscar-Vergabe funktioniert, die dazu geführt hat, dass "Spotlight" statt "The Revenant" bester Film werden konnte. "Die Auszählmethode der Akademie", so Radek, ist "teuflisch, abenteuerlich kompliziert. Wer schon bei seiner Kommunalwahl das Kumulieren und Panaschieren nie richtig verstanden hat, sollte nun lieber zu seinem nächsten Tweet übergehen."
Oder gleich zum nächsten Thema. In derselben WELT erklärt Sascha Lehnartz auch das andere Phänomen, das Amerika beschäftigt und in Europa keiner versteht: Donald Trump.

Der Lauteste und Schamloseste gewinnt

"Trump übertrug einfach die Gesetze des Reality-TV auf die politische Arena. In Reality-TV-Formaten hatte von jeher der Lauteste und Schamloseste gute Aussichten zu gewinnen, da er dem 'Es' freien Lauf ließ und das Publikum von der Zensur des Über-Ichs befreite. ... Während sich aber die gebildeten Schichten an den permanenten Verstößen gegen ihre ästhetischen und kulturellen Codes – Einrichtung, Frisuren, Redeweisen – erheiterten, übersahen sie, wie die Protagonisten dieser Kultur für Massen von Deklassierten zu echten Helden wurden. ... Trumps Erfolg legt die politische Kraftlosigkeit der Ironie des gebildeten Mainstreams offen."
Der gebildete Mainstream, also die engere Klientel der Feuilleton-Leser, bekommt auch in der TAZ einen eingeschenkt. Da erklärt der Migrationsforscher Jens Schneider:
"In westlichen Großstädten gab es bisher immer eine Mehrheitsgesellschaft. ... Die (wird) jetzt in den Städten zu einer Minderheit unter vielen. Das Entscheidende dabei ist, dass an ihre Stelle keine neue Mehrheit tritt. Und das wiederum verändert die Geschäftsgrundlage der Gesellschaft, vor allem was Integration angeht. Es stellt sich nunmehr die Frage: Mit welchem Recht verlangt diese Gruppe, dass alle so zu sein haben wie sie?"
Schneider nennt das eine " hybride, superdiverse großstädtische Kultur ... Und die", ist er überzeugt, "ist eine Chance für die Demokratie. ... Es gibt", fügt er hinzu, "auch unter den Migranten die Gruppe der Skeptiker, die lieber unter sich bleiben wollen. Wir haben aber festgestellt: Je höher die Bildung, desto kleiner wird diese Gruppe. Bei der Mehrheitsgesellschaft ist es genau andersherum: Dort steigt die Skepsis gegenüber anderen Ethnien mit dem Bildungsgrad. ... Personen mit hohen Abschlüssen leben in Gegenden, wo sie kaum Berührungspunkte mit Einwanderern haben. Dazu kommt: Gebildete Menschen halten ihre Vorurteile oft für gut begründet, weil sie ja gebildet sind."
Noch mal zurück zu Trump. Dem wirft zwar niemand vor, zur Chauvinisten-Gruppe des gebildeten Mainstreams zu gehören, dafür zitiert die WELT die Politikwissenschaftlerin Danielle Allen mit der Analyse, "Trump sei zwar vielleicht nicht ganz Hitler, aber dennoch ein Fallbeispiel dafür, wie ein 'demagogischer Opportunist' von der Spaltung eines Landes profitiere", und den Konservativen Robert Kagan mit dem Statement, "für einen ehemaligen Republikaner wie ihn gebe es nun nur noch die Wahl, für Hillary Clinton zu stimmen."
"Die Partei kann nicht mehr gerettet werden, aber das Land."

System des Konservativismus

In Deutschland machen Grüne Werbung für Merkel, in Amerika Konservative für Hillary Clinton. Frauen scheinen das System des Konservativismus irgendwie durcheinander zu bringen. Was das ist, konservativ, das erklärt uns Peter Graf Kielmansegg, wer sonst?, in der FAZ, wo sonst?, unter dem Titel "Angst essen Deutschland auf". Es ist, so viel sei gesagt, fast so kompliziert wie die Oscar-Auszählung, am Ende aber irgendwie auch wieder ganz einfach:
"Ein vernünftiger Konservatismus ... kann uns daran erinnern, dass es ein Gebot politischer Klugheit ist, bestimmte anthropologische Konstanten ernst zu nehmen. ... Der Mensch braucht, heißt das, ein Grundgefühl der Sicherheit, der Sicherheit, dass ihm seine Welt nicht ganz abhandenkommt, auch im Wandel nicht."
Damit wäre endlich auch mal das Problem gelöst, was Konservative eigentlich so treibt. Dem mit seinen Vorurteilen und seinem Mangel an Ironie konfrontierten Mittelschichts-Feuilleton-Leser mag da allenfalls noch eine Einsicht des Philosophen Ludwig Wittegenstein trösten, der meinte, die Probleme im Wesentlichen gelöst zu haben, um dann festzustellen, "wie wenig damit getan ist, dass alle Probleme gelöst sind".
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