Aus den Feuilletons

Warum Männer ihre Beine pur zeigen

Ein Mann und eine Frau in Flip-Flops und kurzen Hosen in München (Bayern), aufgenommen am 29.06.2015.
Ein Mann und eine Frau in Flip-Flops und kurzen Hosen. © picture alliance / dpa / Matthias Merz
Von Arno Orzessek · 29.08.2015
Während sich die "taz" mit kurzen Hosen beschäftigt, nimmt die "Zeit" die als "Viagra für die Frau" verkaufte Pille Flibanserin auseinander. In London bringt ein Schauspieler kulturinteressierte Engländerinnen in Wallung.
Der Sommer prangt in spätem Glanze und streichelt das Land mit warmer Luft. Ein Umstand, der die TAGESZEITUNG motiviert haben mag, unter dem Titel "Der Mann rüstet ab" über die Tendenz zur kurzen Hose zu reflektieren.
"Männer machen, was Frauen immer schon recht war, haben Lust am Zeigen der Beine. Der Unterschied ist – es möge so bleiben –, dass Frauen eher selten auf die Idee kommen, ihre Beine pur zu zeigen. Was man sieht [...] sind behandelte Stellen, entwachste oder rasierte. Männer bestehen auf Natur",
diagnostizierte der Bein-Beschauer Jan Feddersen, wollte aber partout nicht verraten, was er von der Entblößung hält.
"Ob das gut ist oder schlecht? [...] Die einen sagen so, die anderen so."
Für den nachvollziehbaren Fall, dass Frauen nackte Männerbeine nicht so scharf finden, aber eigentlich doch mal wieder Lust hätten, Lust zu haben, gibt es neuerdings eine Pille namens Flibanserin.
"0,7 sicher messbare Male mehr guten Sex im Monat"
Im Aufklärungsmagazin DIE ZEIT stellte Marie Schmidt klar, dass das Medikament nicht wirklich 'Viagra für die Frau' sei, wie landauf landab kolportiert.
"Viagra hilft dem Mann, der zwar will, aber gerade nicht kann, Flibanserin langfristig der Frau, die könnte, aber nicht will."
Schmidt erwähnte auch das Entscheidende: Die Wirksamkeit der Pille, erprobt an Personen, die sich "seit mindestens einem Jahr in einer stabilen, monogamen Partnerschaft" befinden.
"Von 2,7 Mal befriedigendem Sex pro Monat bewirkte Flibanserin im Schnitt eine Steigerung auf 4,4 Mal. Placebos hatten nur 3,7 Mal erwirkt. Das macht 0,7 sicher messbare Male mehr guten Sex im Monat durch die Pille. Das ist zumindest eines nicht: zu viel",
freute sich die ZEIT-Autorin Schmidt.
Kulturinteressierte Engländerinnen in Wallung
Ohne Pille in Wallung geraten augenblicklich – so man der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG glauben will – viele kulturinteressierte Engländerinnen.
"Dieser Prinz macht ja alle ganz verrückt", titelte die FAZ mit Blick auf London, wo der Schauspieler Benedict Cumberbatch am Barbican-Theater gerade Shakespeares Hamlet spielt.
Laut Gina Thomas waren die Karten sämtlicher Vorstellungen binnen Minuten verkauft...
Und zwar insbesondere an die "schmachtenden 'Cumberbitches' [wie sie in England genannt werden], die keine Mühe scheuten, um ihren Helden mit den hohen Wangenknochen und der fruchtigen baritonalen Stimme live zu erleben".
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG verurteilte Alexander Menden die Hamlet-Inszenierung von Lyndsey Turner nach Strich und Faden – nicht aber Cumberbatch selbst.
"Würde, die nie bleiern wirkt, Intelligenz, die sich ihrem selbst herbeigeführten Untergang nicht entziehen kann – [...] Cumberbatch hätte als Rahmen für diese Leistung etwas Besseres verdient gehabt als eine bombastische Hamelt-Eventmaschine",
seufzte der SZ-Autor Menden.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG titelte trocken: "Viel Lärm um Hamlet"...
Und wer schon mal von dem Shakespeare-Stück Viel Lärm um nichts gehört hat, wusste Bescheid. –
"Europa sucht den Superflüchtling"
Kurze Hosen, Lustpillen, illustres Weltstar-Theater...
Sie ahnen, liebe Hörer, dass es hier nicht so locker weitergehen kann, wenn wir die Feuilletons der vergangenen Woche glaubwürdig spiegeln wollen.
Darum zum Wettbewerb "Europa sucht den Superflüchtling", ausgeschrieben von der TAZ – und zwar aus folgendem Grund:
"Alle wollen zu uns. Aber wir wollen bei Weitem nicht alle. Nur die besten, ärmsten und verfolgtesten Flüchtlinge sollen bleiben dürfen oder überhaupt erst versuchen anzukommen. Na dann – Flucht ab!"
Unter dem Stichwort "Anreise" forderte die TAZ vom "Superflüchtling":
"Mit dem Flugzeug sollte er gelandet sein, und zwar in dem Land, in dem er gern bleiben will, denn nur dort ist es ihm dank Dublin II. erlaubt, einen Asylantrag zu stellen. Wer sich mit kriminellen Schleusern einlässt, ist uns allemal suspekt. Und all die Leichen im Mittelmeer sind schließlich auch nicht schön anzusehen."
Europa erbost zur Brust genommen
Auf Sarkasmus verzichtete dagegen der Philosoph Peter Trawny in der FAZ:
"Am Horizont der Menetekel erscheint schon der ultimative Flüchtling, der von [dem Politikwissenschaftler Achille] Mbembe so genannte 'Neger'. Er flieht nicht nur, weil sein Land kriegerisch verwüstet wird. Er wird höchstwahrscheinlich auch fliehen, weil der Klimawandel sein Überleben in weiten Teilen Afrikas unmöglich gemacht haben wird. Schon jetzt erweist sich das Mittelmeer als ein Gebiet, das sich kaum noch von einem Kriegsschauplatz unterscheiden lässt."
Während Menschen also ohne Zahl nach Europa fliehen, nahm sich der italienische Philosoph Giorgio Agamben in der ZEIT unseren Kontinent erbost zur Brust.
"Ein Europa, wie ich es mir wünsche, kann es erst geben, wenn das real existierende 'Europa' kollabiert ist. [...] Würde Griechenland die Europäische Union tatsächlich verlassen, wäre das wahre Europa in Athen, nicht in Brüssel, wo [...] jede Entscheidung von Kommissionen getroffen wird, die zur Hälfte aus Vertretern der Großindustrie [...] bestehen."
Und einmal dabei, kaputt zu machen, was ihn kaputt macht, wetterte Agamben in der ZEIT:
"Zunächst gilt es, der Lüge entgegenzutreten, dieser Vertrag zwischen den Staaten, den man als Verfassung ausgibt, sei das einzig denkbare Europa, diese ideen- und zukunftslose institutionalisierte Lobby, die sich der düstersten aller Religionen, der Religion des Geldes, blind verschrieben hat, sei die rechtmäßige Erbin des europäischen Geistes."
"Wir alle sind jetzt schon verdammt"
Indessen berichteten die Feuilletons von einer Religion, die in puncto Düsternis mit dem Kapitalismus wohl Schritt halten kann – nämlich dem Islamismus, wie er sich im "Islamischen Staat" verwirklicht.
"Der Horror geht weiter", befand der Berliner TAGESSPIEGEL, nachdem der IS in Palmyra den 2000 Jahren alten Baal-Shamin-Tempel gesprengt hatte.
Dass der Horror immer noch weiter geht, befürchtete im Interview mit selbigem TAGESSPIEGEL Maamoun Abdulkarim, der Antiken-Direktor Syriens.
"Wenn der IS weiter vordringt, werden wir alle ermordet. Man wird uns den Kopf abschneiden, denn wir schützen die Götterfiguren der Griechen, Römer und Christen. [...] Wir alle sind jetzt schon verdammt und zum Tode verurteilt." –
Heikel genug, diese Presseschau nun mit besten Wünschen für einen netten Sonntag zu beenden. Wir tun es dennoch...
Und empfehlen Ihnen, liebe Hörer, jene Instrumente zu ergreifen, die in der SZ Überschrift wurden – nämlich die "Wünschelruten der Sinnlichkeit".