Aus den Feuilletons

Warum Amazon nicht so schlimm ist

Ein Lager des Online-Versandhändlers Amazon in Peterborough.
Sind die Arbeitsbedingungen nicht so schlecht wie gedacht? Ein Lager des Online-Versandhändlers Amazon in Peterborough. © ANDREW YATES / AFP
Von Arno Orzessek · 11.12.2014
Gilt der Online-Versandhändler Amazon zu Unrecht als Bösewicht? Diese Frage beantwortet die "Berliner Zeitung". Die "NZZ" punktet mit einem verführerischen Bild für Fans nackter Haut.
Zunächst ein Tipp für Liebhaber nackter Haut: Greifen Sie am Kiosk zur NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG! Auf der ersten Seite des NZZ-Feuilletons nämlich rekelt sich Diego Velásquez' "Venus mit dem Spiegel" in den Geschmeiden ihres Bettes, dabei vom Betrachter abgewandt...
Und zwar dergestalt, dass sich der rechte Arm, auf den sie ihren Kopf stützt, ihre straffen Schulterblätter, die vollendete Taille, der absolut himmlische Hintern, die Schenkel, Waden, Fesseln, Füße in einer fließend-elastischen, ganz und gar berückenden weißen Körperwelle ergießen. "Im Kreuzverkehr der Blicke" untertitelt die NZZ das Gemälde.
Denn Venus betrachtet sich selbst - und womöglich ihre Betrachter - im Spiegel, während die Betrachter, typisch Velásquez, Venus beim Betrachten betrachten - und damit durch sie hindurch ebenfalls sich selbst.
Vorausgesetzt jedenfalls, sie interessieren sich nicht nur für die Rückseite der weißen Venus-Welle, deren erlesene Aura so gar nicht zum profanen Begriff "Löffelchen-Stellung" passt - und ihn doch unwiderstehlich evoziert. Um das Mindeste zu sagen. Im übrigen bebildert die "Venus" in der NZZ Karin Hellwigs günstige Besprechung der Velásquez-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien.
Gewalt in der Zeitgeschichte
Wir aber wenden uns vom Erotismus in der Kunstgeschichte ab und der Gewalt in der Zeitgeschichte zu. Unter dem Titel "Wasser, Licht und Country-Musik" berichtet Jörg Häntzschel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "wie die Air Force-Psychologen James Mitchell und Bruce Jessen das Folterprogramm der CIA entwickelten".
Und das kam so: Mitchell und Jessen hatten einst US-Soldaten auf eine mögliche Gefangenschaft samt Verhören und Folterung durch Kriegsgegner vorbereitet. Als nach 9/11 die CIA auf Folterkurs einschwenkte, konnten die Psychologen ihre Quäl-Kompetenz laut SZ-Autor Häntzschel rasch zu barer Münze machen.
"Trotz wiederholter Proteste von CIA-Veteranen und in klarer Verletzung der Regeln ließ man zu, dass Mitchell und Jessen alle Rollen des Verhörprozesses in Personalunion spielten. Sie hatten das Programm entwickelt, sie folterten und verhörten, fungierten in denselben Foltersitzungen als beobachtende Psychologen und schickten anschließend ihre Berichte nach Langley [in die CIA-Zentrale]. Was diese Wert waren, lässt sich schon daran ermessen, dass beide [...] 1800 Dollar pro Tag für ihre Dienste erhielten."
Für, gelinde gesagt, viel weniger Kohle hat die Schriftstellerin Heike Geißler in einem Lager des Internet-Versandhändlers Amazon gearbeitet und ihre Erfahrungen in dem Buch "Saisonarbeit" beschrieben. In der BERLINER ZEITUNG verrät Cornelia Geißler - die betont, mit Heike Geißler "nicht verwandt" zu sein - die Schlusspointe:
"Am Ende erhält die Autorin einen Brief mit einem Angebot, wieder als Saisonkraft bei Amazon zu arbeiten. Sie verzichtet. Wir, die wir 250 Seiten lang in ihre Haut geschlüpft sind, wissen, warum. Befriedigend ist die Arbeit dort nicht. Aber es ist auch nicht der Vorhof zur Hölle, bloß ein Gemischtwarenladen."
"Deutschland ist für uns der Bösewicht - zu Unrecht"
Da unsere Kulturpresseschau heute ebenfalls ein Gemischtwarenladen ist, könnten wir uns die Anstrengungen einer eleganten Überleitung im Grunde schenken...
Andererseits: Da in der BERLINER ZEITUNG steht, dass Amazon womöglich zu Unrecht als Bösewicht gilt, schreibt sich eine elegante Überleitung zu dem Artikel "Deutschland ist für uns der Bösewicht - zu Unrecht" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG fast von selbst.
Der italienische Philosoph und Deutschland-Kenner Angelo Bolaffi erklärt in der FAZ, "warum der Dialog mit Italien in einer tiefen Krise steckt":
"Früher gab es zumindest eine ideologische Verbindung zwischen den Ländern, vor allem bei den Linken. Die haben europaweit dieselben Autoren gelesen, dieselben Themen diskutiert, dieselben Fragen gestellt. Das Novum in Italien ist, dass die Linke plötzlich antieuropäisch auftritt. Dabei gibt es meines Erachtens [...] zwei Länder, die Europa unbedingt brauchen. Deutschland aus Stärke und Italien aus Schwäche."
Nun denn. Falls Sie, lieber Hörer, nicht wissen, was Sie sich zu Weihnachten wünschen sollen, wünschen Sie sich doch, mit einer Überschrift aus der TAGESZEITUNG:
"Rosen, Küsse, güldene Worte."
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