Aus den Feuilletons

Von Demokratie und individueller Freiheit

Zwei Matroschka-Figuren, die Wladimir Putin und Donald Trump darstellen sollen
Wladimir Putin und Donald Trump als Matroschka-Figuren © TASS / dpa
Von Adelheid Wedel · 11.03.2017
In der "NZZ" warnt Christine Abbt vor dem Demokratieverständnis von Putin, Trump & Co. Sie sagt: Auch Demokratie kann zum Zwangsregime werden."
"Putin, Orban, Trump oder Erdogan sind demokratisch gewählt", schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG am Samstag. "Aber sind sie Demokraten?" fragt Christine Abbt in dem Schweizer Blatt, und sie weiß, dass die Antwort darauf je nachdem ausfällt, ob Demokratie als eine Herrschaft der Mehrheit oder als eine Herrschaft der Vielen verstanden wird. Diesen Unterschied verwendet die Autorin, um deutlich zu machen:
"Auch Demokratie kann zum Zwangsregime werden."
Dem gegenüber steht "als zentraler Erkenntnisfortschritt" – so führt die Autorin aus:
"Dass demokratische Freiheit und das Recht auf individuelle Freiheit zusammengehören."
Anfang des 19. Jahrhunderts stellte die Ablösung von Monarchie und Autokratie durch demokratische Ordnungen einen wichtigen Fortschritt dar. Dieser Wandel trage aber erst dann zum Wohle aller bei, wenn dadurch keine "Tyrannei der Mehrheit" zustande kommt. Um eine solche zu verhindern, zitiert die Autorin Harriet Taylor und John Stuart Mill, seien "Grundrechte für jede Person" unabdingbar. Abgeleitet davon führt die Autorin aus, dass
"das Verständnis von Demokratie, das Trump oder Orban einem zumuten und das gegenwärtig erstaunlichen Rückhalt bei Menschen genießt, ... streng genommen nicht demokratisch ist. Es behauptet nicht die Herrschaft des ganzen Volkes, sondern die Herrschaft einer Mehrheit, die für sich den Begriff 'Volk' in Anspruch nimmt. 'Demokratie' wird dabei ausschließlich ein Mittel zum Zweck für die Durchsetzung von Machtinteressen einiger."
Den Mechanismus solchen Demokratieverständnisses beschreibt die Autorin:
"Sind Putin, Orban, Trump und Erdogan erst einmal an der Macht, bemühen sie sich darum, bei den Anderen jede Möglichkeit auf individuelle Entfaltung auszuschalten. Ihre Freiheit misst sich nicht an jener der Anderen."
Ein Fall von Missbrauch? Auf die Verwendung des Begriffs Demokratie trifft das in diesem Fall zu.

Demokratie als nüchterne Staatsform

Nicht nur der Begriff, auch unser Verständnis von Demokratie sorgt immer wieder für ernst zu nehmende Erörterungen zum Thema. In der Tageszeitung DIE WELT vom Donnerstag lobt Wolf Lepenies in seiner Laudatio auf den Preisträger Navid Kermani – er erhielt am Mittwoch den Bürgerpreis deutscher Zeitungen – dessen "Patriotismus für die Demokratie". Lepenies nennt sie "eine Staatsform der Nüchternheit", denn "Legitimität wird bei ihr dem politischen Personal nur auf Zeit verliehen". Lepenies ergänzt:
"Nüchternheit aber darf in der Demokratie nicht zur Kälte werden. Nicht alleine mit dem Verstand, auch mit dem Herzen muss die Demokratie akzeptiert werden, wenn sie überleben soll."

Ein ordentliches, gut geregeltes Land

Sprechen wir von Demokratie, schwingt immer auch der Gedanke an Wahlen mit. Da lesen wir im TAGESSPIEGEL vom Freitag, dass der niederländische Schriftsteller Geert Mak gar nicht amüsiert ist, wenn er an die bevorstehenden Wahlen in seiner Heimat denkt. Er klagt, seine Mitbürger und auch die Parteien seien extrem verunsichert, obwohl, wie er im Interview feststellt, im Großen und Ganzen die Niederlande ein ordentliches, gut geregeltes Land seien. "Dennoch", so stellt er fest,
"gibt es einen großen Unfrieden im Land. Ich kann das nur damit erklären, dass die Niederländer sich schon immer schnell anpassen konnten. Als in den achtziger Jahren die Welle des Marktdenkens über die westliche Welt schwappte, der Neoliberalismus, der Neokapitalismus, die Globalisierung, waren die Niederländer blitzschnell dabei."
Die Managementkultur, in der es nur noch um Zahlen geht, habe das Land extrem verunsichert. Und so sieht er sich außerstande, eine Prognose zu wagen. Nur so viel: "75 Prozent der Wähler sind noch unentschieden. Alle sind außerdem enorm über die Wahl von Trump und den Brexit erschrocken. Keiner sagt mehr etwas."

Warum die Naziparallele nicht weiterhilft

Und da ist er schon wieder, der Name Trump, ohne den auch dieser Wochenrückblick nicht auskommt. Obwohl wir den Vergleich Erdogans zwischen Nazi-Deutschland und der deutschen Gegenwart hörten, bezieht er sich im Folgenden auf eine andere Konstellation. "Nicht immer nach Hitler suchen", titelt die Tageszeitung vom Sonnabend. Das meint die Forderung Ulrich Herberts im Gespräch mit TAZ-Autor Stefan Reinicke. Der Historiker warnt:
"Wir verstehen die Entwicklung in den USA nicht besser, wenn wir sie auf den Leisten des deutschen Faschismus ziehen. Es gibt so viele Varianten des Autoritären, Diktatorischen – warum gerade Hitler? Warum nicht Putin, Erdogan, Orban, Kaczynski oder von mir aus Franco oder Stalin? Wer nur auf die Naziparallele schaut, übersieht die spezifische und in der Tat sehr gefährliche Lage in den USA."

Trump zählt den Keller mit

Von einer Gefahr für die USA spricht auch die Schriftstellerin Thea Dorn in der WELT am vergangenen Sonntag:
"Mein liebes Amerika, deine beiden politischen Lager scheinen so verhärtet zu sein, einander so verfeindet gegenüber zu stehen, dass ihr nicht mal mehr untereinander redet. Das ist fürchterlich ... Siehst du nicht, dass du auf einen neuen Bürgerkrieg zumarschierst, wenn du weiterhin bei dieser störrischen, unversöhnlichen Haltung bleibst?"
So Spitz auf Knopf scheint die Lage nicht zu sein, denn der Präsident des angeflehten Landes weiht munter seinen "Tower to the People" ein, wenngleich nicht in den USA, sondern in Vancouver, und das im Geheimen. Denn, so erfahren wir aus der WELT, das kanadische Volk ist gegen den neuen Nachbarn Sturm gelaufen. Luise Wagner schreibt über das Trump-Luxushotel:
"Offiziell misst das Hochhaus 69 Stockwerke, aber der Trump Tower besteht nur aus 63 Etagen."
Die "verschwundenen" Stockwerke sind Parkgaragen in der Tiefe. "Ein extrem ungewöhnlicher Vorgang, unterirdische Etagen mitzuzählen", amüsiert sich Vancouvers Stadtplaner. Aber was tut es, Hauptsache: Great.
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