Aus den Feuilletons

"Vielleicht bin ich ein Volksschriftsteller"

Der Autor Bernhard Schlink sitzt am Mittwoch (23.03.2011) bei einer Lesung in Köln auf der Bühne.
Wird am Sonntag 70: Der Autor Bernhard Schlink © picture alliance / dpa / Henning Kaiser
Von Adelheid Wedel · 04.07.2014
Zu seinem Geburtstag am Sonntag würdigen die "Welt" und die "NZZ" den Autor Bernhard Schlink. Die "TAZ" verhandelt die Ost-West-Geschichte und das Verhältnis von Kunst und Staat in der Türkei.
"Seit die Ukraine darum ringt, wohin sie gehören will, spricht man wieder von Ost und West",schreibt Norbert Mappes-Niediek in der Tageszeitung TAZ. Er beleuchtet die Geschichte des Ostens und Westens und deren gegenseitige Wechselbeziehungen.
"Aus dem Westen kamen die schlimmsten Feldzüge, erinnert der Autor. Serbien verlor im Ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte seiner erwachsenen Männer, im Zweiten ließen so viele Ukrainer ihr Leben wie Briten, Franzosen und Amerikaner zusammen."
Die europäische Geschichte der letzten hundert Jahre sei eine Geschichte der Osterweiterungen, so der Autor und belegt das mit Fakten:
"1945 überschritt das Modell des liberalen Staates den Rhein, 1989 die Elbe und 2014 den Dnjestr, womit es in der Ukraine angekommen war."
Dann macht Mappes-Niediek einen Vorschlag:
"Ins virtuelle Zeitalter, wo der Ort keine besondere Rolle mehr spielt, mag die geografische Begrifflichkeit nicht mehr recht passen. Vielleicht spricht man besser von einem 'Projekt der Moderne'."
Archaische Geschlechterrollen von West und Ost
Der Westen wäre bei dem Modell der Sender, der Rest der Welt Empfangsgebiet.
"Überall im Sendegebiet gruppieren sich Geisteswelt und Politik in prowestliche Empfänger und in Verweigerer",merkt er an, "die einen wollen es so machen wie die im Westen. Die anderen beharren auf ihrer hergebrachten oder einer neu konstruierten Identität."
In diesen Prozess lässt sich der Konflikt um die Ukraine einordnen. Dazu Mappes-Niediek:
"Das Bild von dem Sender und dem Empfänger weist dem Westen und dem Osten archaische Geschlechterrollen zu; tiefer kann die eine patriarchalische Gesellschaft die andere patriarchalische kaum kränken. Der demonstrative Machismo der Putin-Anhänger soll die Kränkung vergessen machen."
So weit einige Gedanken aus dem Artikel in der TAZ von Mappes-Niediek, der als freier Korrespondent in Graz lebend, von dort aus Südosteuropa und Ungarn bereist. Er hat mehrere Bücher über den Balkan geschrieben und war 1994 bis 95 Berater des UNO-Sonderbeauftragten für das ehemalige Jugoslawien.
Ein weiterer Artikel in der TAZ beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kunst und Staat in der Türkei. Annegret Erhard beantwortet die Frage, "warum Kunst gerade unter Erdogan so wichtig für die türkische Gesellschaft ist."Aus eigener Beobachtung beschreibt sie:
"Der rasante Wirtschaftsboom hat zu einem fast schon prima Konsumverhalten, aber auch zu einer diffusen Unzufriedenheit geführt",er habe zwar Einzelne besser gestellt, gleichzeitig aber zu großer Verunsicherung geführt.
Kunst als Instrument der Aufklärung
"Ein wetternder Patriarch – ängstlich, paranoid, geschichtsvergesse, brutal – kann mit seinen rückwärtsgewandten Parolen identitätsstiftend wirken",schreibt die Autorin und warnt:
"Viel bleibt dabei auf der Strecke und rasch wird aus einer islamisch-konservativen eine islamisch-reaktionäre Regierung."
So sei es gut, "dass der Kunstbetrieb in den Händen säkular und laizistisch ausgerichteter, dabei wohlhabender und weltläufig agierender Bürger"liege. Sie zählt Beispiele des Engagements für zeitgenössische Kunst auf, die ausschließlich auf privater Ebene beruhen.
"Kann sein, dass ich mich täusche, aber eines Tages könnte der türkischen Regierung auf ihrem gnadenlos unüberlegten Weg in die Isolation doch noch auffallen, dass die Kunst nicht nur Stimulans des intellektuellen Establishments und der Jungen ist, sondern das ideale Instrument der Aufklärung und Kritik."
Eine ganze Seite widmet die WELT dem Bestsellerautor Bernhard Schlink zu seinem 70. Geburtstag an diesem Sonntag. "Vielleicht bin ich ein Volksschriftsteller", wird Schlink zitiert, den die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG "einen fabulierenden Juristen"nennt. Im Interview in der WELT fragt Thomas David: "Was soll die Literatur ändern?"Schlinks Antwort:
"Sie ändert unsere Wahrnehmung, deshalb lieben wir sie…, sie lässt unser Herz für etwas schlagen, für das es sonst nicht geschlagen hätte."