Aus den Feuilletons

Vergessene Fakten und Einordnungen

Nolde, seine Bilder und seine angebliches "Verfolgtgewesensein" sind Thema in SZ und FAZ
Nolde, seine Bilder und seine angebliches "Verfolgtgewesensein" sind Thema in SZ und FAZ © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Burkhard Müller-Ullrich · 27.04.2014
Die deutschen Feuilletons gehen heute vor allem hart miteinander ins Gericht: SZ-Redakteur Willi Winkler erinnert die FAZ daran, was ihr Autor in einem Emil-Nolde-Beitrag so alles vergessen hat. Und ein "Welt"-Kollege ist mit der "Zeit"-Literaturkritikerin Iris Radisch unzufrieden.
Dass der Maler Emil Nolde sich nicht nur für einen besonders deutschen Expressionismus begeisterte, sondern andere Maler auch gern antisemitisch denunzierte, dass er von den Nazis zwar trotzdem den "entartet"-Stempel aufgedrückt bekam, aber damit nach dem Krieg eine opportunistische Show des Verfolgtgewesenseins abzog, die zu seiner wirklichen Lage in keinem Verhältnis stand, dies alles ist allmählich bekannt und braucht nicht erst enthüllt zu werden.
Darauf weist Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hin, weil ihn ein vorgestern in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN erschienener Artikel von Jochen Hieber geärgert hat:
"Jochen Hieber, der Marcel Reich-Ranicki, dem ewig währenden Literaturchef der Frankkfurter Allgemeinen, berufslebenslang als Kanzleisekretär diente",
wie Winkler höhnt, und der, um mit dem Zitat gleich fortzufahren,
"jetzt, nachdem sein Meister verstorben ist und diese freudige Pflicht erloschen ist, dessen besten Freund unter den Schriftstellern als geschichts- und wirklichkeitsblind entlarvt."
Mit Reich-Ranickis bestem Freund unter den Schriftstellern ist Siegfried Lenz gemeint, der in seinem Roman "Deutschstunde" Nolde porträtiert hat, und zwar so positiv, dass es im Licht der inzwischen bekannten Tatsachen ein wenig peinlich wirkt. Aber peinlich findet Winkler vor allem, was für ein Aufheben sein Kollege Hieber davon machte:
"Der Literaturwissenschaftler Hieber [sollte] schon mal vom Unterschied zwischen einer realen und einer fiktiven Figur gehört haben,"
schilt Winkler ihn. Übrigens ist ihm, Winkler, noch etwas ganz anderes aufgefallen: Gleich drei große deutsche Vergangenheitsbewältigungsromane treffen sich im Gefängnis als Erzählort: außer der "Deutschstunde" auch "Die Blechtrommel" und "Der Vorleser".
Um aber bei Freundlichkeiten unter Literaturkritikern zu bleiben, hier noch eine Kostprobe aus der WELT. Elmar Krekeler teilt mit:
"Die hochmögende Literaturkritikerin Iris Radisch hat Sibylle Lewitscharoffs 'Killmousky' gelesen.
Man ahnt bereits, dass Krekeler in Krawallstimmung ist. Denn seine Kollegin von der ZEIT hat "Killmousky" nicht richtig verrissen, sondern als Genreliteratur herabgestuft. Ein Krimi sei es bloß, da müsse man die Rezensionslatte sowieso niedriger legen.
"Radisch steht damit natürlich nicht allein oben über allem Volke und allen Genres auf der Latte der deutschen Hochleistungsliteraturkritik,"
schimpft der WELT-Kritiker und fährt fort:
"Die hat offensichtlich immer noch nicht mitbekommen, dass ihre Vorstellungen vom "leichten Fach" doch sehr nach Fünfzigerjahre aussehen."
Nach dieser Belehrung wieder zurück zu Reich-Ranicki und zur Malerei. Der SPIEGEL stellt nämlich den englischen Künstler Frank Auerbach vor, der in Deutschland immer noch sonderbar unbekannt ist und hier erst allmählich entdeckt wird, wozu kommendes Jahr eine Schau im Bonner Kunstmuseum beitragen dürfte. In Großbritannien hingegen, schreibt Ulrike Knöfel im SPIEGEL,
"gilt er sowieso als einer der großartigsten lebenden Maler. Schon vor Jahrzehnten vertrat er das Königreich auf der Biennale von Venedig. Inzwischen erzielen seine Bilder auf Auktionen Millionensummen. Seine Kunst hat einen festen Platz in der Dauerausstellung des ehrwürdigen Tate-Britain-Museums in London."
Am Dienstag wird Auerbach 83, und 75 Jahre ist es her, dass er, der in Berlin Geborene, mit einem der Kindertransporte, welche 10.000 jüdischen Kindern das Leben retten sollten, in Southampton ankam. Seine Eltern blieben zurück und wurden im KZ ermordet. Marcel Reich-Ranicki war einer seiner wenigen Verwandten, die den Holocaust überlebten; in seinen Memoiren berichtet Reich-Ranicki, dass er im Hause Auerbach häufig als Babysitter für den fünfjährigen Knaben benötigt worden war.
Ulrike Knöfel hat Frank Auerbach, der immer noch fast jeden Tag in seinem vor 60 Jahren angemieteten Atelier verbringt, in einem kleinen Restaurant in London getroffen. Ihr SPIEGEL-Porträt ist der zugleich kürzeste und informativste deutsche Text seit langem über den Maler, der in Großbritannien mit Lucian Freud und Francis Bacon stets in einem Atemzug genannt wird.
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