Aus den Feuilletons

USA als "Sheriff Überall"

Das Volkswagen Logo auf einem VW Golf vor dem VW Werk in Wolfsburg
Die aggressive Form der Strafverfolgung kann als amerikanische Überheblichkeit gesehen werden, meint die "SZ". © Picture Alliance / dpa / Ole Spata
Von Paul Stänner  · 27.09.2015
Die USA treten als Strafverfolger in Fällen wie Siemens, Fifa und VW auf. Die "Süddeutsche Zeitung" kritisiert, dass im Zeitalter der Globalisierung Strafverfolgung übernational sein muss.
Der Sommer geht zu Ende, die letzten warmen Tage liegen vor uns. Das Feuilleton ist herbstlich gestimmt auf die Zeit, wenn wir an verregneten Tagen dunklen Gedanken nachhängen.
Der britische Historiker Harold James schreibt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über "Deutschlands Janusgesicht". Er vergleicht die Ströme deutscher Flüchtlinge, die 1989 aus Ungarn über die Grenze kamen und das Sowjetreich zu Fall brachten, mit den arabischen Flüchtlingen, die heute aus Ungarn über die Grenzen kommen und – Europa zu Fall bringen?
Sein Thema ist die Rolle Deutschlands, wobei das Bild schwankt einerseits zwischen dem des europäischen Musterknaben mit selbsternannter Vorbildfunktion – der Begriff "Schuldenbremse" ist wohl, wie schon das Wort "Kindergarten", in den internationalen Sprachgebrauch eingegangen – und andererseits dem des wirtschaftlich überpotenten Staats, der nach europäischer Hegemonie strebt. Dagegen scheinen sich die alten Nationalstaaten in Stellung zu bringen, die eigentlich schon als überholt angesehen wurden. James resümiert:
"1989 lehrte uns, dass der Nationalstaat eine Art psychischer Rückversicherung in unruhigen Zeiten sein kann; 2015 realisieren wir, dass ein weit größeres Versicherungssystem vonnöten ist. (...) Wie jede Versicherung muss es mit Bedacht aufgebaut und gegen Missbrauch geschützt werden."
Will sagen: Das System Europa muss grundlegend umgebaut werden.
Viel Geld für die Hochkultur, wenig für die freie Szene
Im Berliner TAGESSPIEGEL denkt Frederik Hanssen über den Herbst hinaus: Unter die Überschrift "Kinder statt Kundry" kritisiert er, wie im Berliner Kultursektor die Gelder verteilt werden. Der Sarkasmus liegt in den Tatsachen – also beschreibt er in neutralem Ton eine Werbekampagne für die Opern der Stadt, die 147.000 Euro kostet und selbst nach Ansicht des Werbeunternehmers eigentlich unnötig ist. Hanssen zitiert ihn, wie er seine kostspieligen, aber bescheidenen Ziele formuliert:
"Wir zeigen mit unserer Kampagne lediglich souverän und frech Selbstbewusstsein und Haltung."
Hat man einmal damit angefangen, locker das Geld rauszuhauen - so scheint es - kann man auch sonst auf die Sahne schlagen: Reichlich Millionen gibt Berlin für die sogenannte Hochkultur, mit der sich gut repräsentieren lässt, während für die freien Theater und vor allem die Jugendtheater nur wenig Geld zur Verfügung gestellt wird. Hanssen ärgert sich:
"Wer allerdings nur einen halben Gedanken darauf verschwendet, wo denn all die Besucher (...) der Opern, der Volks- und Schaubühnen ihre ersten Erfahrungen mit den schönen Künsten gemacht haben, der müsste als nachhaltig denkender Kulturpolitiker eigentlich von selber drauf kommen, was er auf keinen Fall vernachlässigen darf."
Müsste er – will er vielleicht nicht. So ist Berlin: An allen Orten ist Flughafen.
USA als "Sheriff Überall"
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt Andreas Zielcke über die USA als "Sheriff Überall". Er bezieht sich auf Fälle wie Siemens, Fifa, VW, in denen die USA als Strafverfolger auftreten. Der Autor erläutert, dass im Zeitalter der Globalisierung Strafverfolgung übernational sein muss, weil beispielsweise ein europäisches Unternehmen, dass einen Auftrag durch Korruption erhält, seinem amerikanischen Konkurrenten auf dem Weltmarkt schadet. Auch Deutschland folge dieser Logik.
Der Rechtsexperte räumt ein, dass die aggressive Form der Strafverfolgung als amerikanische Überheblichkeit gesehen werden kann, andererseits hätten bei Fifa und VW die europäischen Institutionen versagt. Andreas Zielcke warnt aber davor, dass Amerika sein Rechtssystem weiter ausdehnt, weil es Elemente enthalte, die mit europäischem Rechtsverständnis oft nicht vereinbar sind, so dürfen – Zitat - amerikanische "Aufsichtsbehörden (...) mit Quellen, Zeugenaussagen, Dokumenten operieren, die sie den Beschuldigten nicht aufdecken. Solche Verfahrensweisen erinnern an Kafkas 'Prozess'".
Sie hören es schon, der regnerische, der düstere Herbst hat begonnen.
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