Aus den Feuilletons

Unsere Tränen im Eisfach

Edward Albee, 2012 Kennedy Center Honors Gala Dinner
Der Dramatiker Edward Albee im Jahr 2012: Er starb am 16. September 2016. © picture alliance / dpa / Ron Sachs
Von Ulrike Timm · 18.09.2016
Die Nachrufe auf den Dramatiker Edward Albee bestimmen die Kulturseiten: "Partyexistentialistische Sätze", auf die Sartre neidisch gewesen wäre, zitiert die "Süddeutsche", während andere Blätter an weniger bekannte Theaterstücke des Amerikaners erinnern.
"Schlaft Ihr?" – im Theater ist das ein gefährlicher Satz. Kann nämlich passieren, dass das Publikum ihn kontert und eine müdmulmige Aufführung mit einem knappen "Ja" quittiert. Viel gefehlt für eine solche Reaktion hat in Hamburg wohl nicht, so hat es zumindest Irene Bazinger von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN wahrgenommen. Sie rezensiert eine Aufführung des Thalia-Theaters, die zwei Stücke miteinander verquickt, das eine heißt "Wut", das andere heißt "Rage", und herausgekommen ist so etwas wie "feuchtfröhliche Gymnastik". Eine für die Schauspieler schweißtreibende und für die Zuschauer irgendwie lähmende Angelegenheit.
Lähmende Beziehungen von Menschen entluden sich bei Edward Albee in einem Feuerwerk von Sätzen, jeder ein Treffer, den man so schnell nicht vergisst. "Partyexistenzialistische Sätze, für die Sartre nach Rom und zurück gepilgert wäre", meint Willi Winkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und setzt seinen Lieblings-Albee-Satz gleich dran: "Wir weinen, und dann nehmen wir unsere Tränen und legen sie ins Eisfach, bis sie gefrieren, und dann werfen wir sie in den Drink". Stammt aus Albees berühmtestem Bühnen-Knaller, dem Eheschlachtdrama Wer hat Angst vor Virginia Woolf. Edward Albee ist am Wochenende gestorben, die Feuilletons würdigen ihn erst jetzt, und am eindringlichsten tut das eben die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die startet wie eine Szenenanweisung für ein Albee-Stück: "Zweieinhalb Wochen war er alt, da fand er einen Käufer, Reid Albee, der eine Theaterkette geerbt hatte, und dessen mondäne Frau. Sie wünschten sich ein Kind, das zu ihnen passte und die Einrichtung nicht störte, und sie zahlten gern dafür. Mit 133,30 Dollar Adoptionsgebühr kam er nicht unbedingt günstig, aber er sollte eine Zierde sein fürs Heim, ein weiteres Schmuckstück. Diese Eltern waren nicht bloß wohlhabend, sondern klassische Rassisten, meinte er später, antisemitisch, bigott, politisch ’rechts von Dschingis Khan‘, aber keine Eltern. Sie gaben ihm alles, was er wollte, er wollte es aber nicht."
WELT und NEUE ZÜRCHER verweisen auf Bühnenwerke wie "Empfindliches Gleichgewicht" und "Zoogeschichte", die NZZ zusätzlich auf Albees leider wenig bekannten Essayband mit dem wunderbaren Titel "Stretching my mind". Nein, Edward Albee war kein Ein-Werke-Mann, auch wenn die Erinnerung an Elizabeth Taylor und Richard Burton, "angegraut, angetrunken und angeekelt" in seinem Erfolgsstück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf? anderes fast platt macht. Die WELT wartet in ihrer Würdigung des großen Dramatikers mit einem skurrilen Detail auf - wir erfahren, wie wichtig der US-Telegrammdienst Western Union für die amerikanische Theatergeschichte war: "Erst arbeitete dort Arthur Miller in der Personalabteilung, dann jobbte Edward Albee dort als Bote."

Gute und schlechte Kirchenlieder

Eigentlich ist die Pressebeschauerin ganz dankbar, dass die Feuilletons Edward Albee so ausführlich bedenken, denn sonst tut sich nicht viel Inspirierendes auf an diesem Tag, pardon. Die gefühlt 792. Analyse von Angela Merkels Beweggründen und ihrer Wirkung auf uns in der FAZ, oder eine Studie zur Gesangbuch-Reform in der evangelischen Kirche ebendort. Die hat die arme Feuilletonkollegin wohl schon ob ihres synthetischen Management-Sprechs genervt – "gewaltige Herausforderungen", "Synergieeffekte", "Leuchtturmkirchen" und "Profilgemeinden" sollen’s richten, dass wieder mehr Menschen in Gottesdienste gehen, und natürlich ist der "Niederschwelligkeitsfaktor" auch dabei. Wer sowas lesen muss, darf schon deshalb ein scharfes Fazit ziehen, Hannah Bethke schreibt: "Kein noch so gutes Kirchenlied kann fehlende kirchliche Inhalte ersetzen – und ein schlechtes erst recht nicht."
Trösten wir uns mit einem knappen Satz aus einem langen Interview, das der britische Schauspieler und Komiker John Cleese der SÜDDEUTSCHEN gegeben hat: "Die Menschen waren mal ganz gut darin, eine Zeit lang überhaupt nichts zu tun."
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