Aus den Feuilletons

Unmut über Hashtag #jesuischarlie

In Paris setzen Hunderttausende ein Zeichen der Solidarität und gegen religiöse Gewalt.
In Paris setzen Hunderttausende ein Zeichen der Solidarität und gegen religiöse Gewalt. © dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld
Von Hans von Trotha · 12.01.2015
Ganz Frankreich bekennt sich zu "Charlie Hebdo" - auf einmal. In den Feuilletons wird kontrovers diskutiert, warum jetzt alle plötzlich "Charlie" sind. Kaum zu bremsen ist Arno Frank - in der "taz" lässt er seinem Zorn auf den Hashtag #jesuischarlie freien Lauf.
"Auch Hollywood ist Charlie", titelt die Berliner Zeitung angesichts der Verleihung des Golden Globe, was David Steinitz in der Süddeutschen zumindest mehr oder weniger bestätigt: "George Clooney", bilanziert Steinitz, "ist jetzt offiziell alt, die Oscars sind tendenziell out - und alle sind mehr oder weniger Charlie." - Und damit hat das Feuilleton sein Thema.
"Und was ist mit den Juden?", fragt Oliver Tolmein in der FAZ und beklagt:
"Das Bekenntnis 'Ich bin Charlie´ lässt vergessen, dass der islamistische Terror auch ein Antisemitismus ist." -"Auch wenn mittlerweile auf Twitter mit einiger Verzögerung die "JeSuis-Juif"-Solidarisierungen zunehmen",
schreibt Tolmein,
"bleiben sie doch Ausnahmen, selbst gemessen am Hashtag 'JeSuisKouachi', und werden zudem oft durch gleichzeitig erfolgte Bekenntnisse, auch 'katholisch', 'muslimisch' oder 'baskisch' zu sein, entwertet."
"Weil das Bekenntnis, 'Charlie' zu sein aber ohnehin in erster Linie Ausdruck einer Stimmung ist und weder Ergebnis einer Analyse noch Bestandteil einer politischen Strategie",
meint Tolmein,
"war Klarheit auch gar nicht zu erwarten. Das Diffuse des auch nicht zufällig durch einen Hashtag bei Twitter erstmals verkündeten Bekenntnisses war Voraussetzung für dessen überragenden Erfolg."
Gut, dass Matthias Heine in der Welt daran erinnert, was ein Hashtag eigentlich ist, nämlich
"ein durch die Kombination von Rautenzeichen und Schlagwort markierter und zugleich geschaffener multipler Link, der beim Social-Media-Dienst Twitter zu allen Tweets weiter-leitet, die genauso markiert sind."
Anlass für die Klarstellung ist nicht "Jesuischarlie", sondern die Meldung, dass die American Dialect Society erstmals einen Hashtag zum Wort des Jahres gewählt hat - einen Hashtag, der einen nicht minder fassungslos gewahr werden lässt, in was für Zeiten wir leben, nämlich: #blacklivesmatter, aufgekommen nach dem Tod der von Polizisten erschossenen Schwarzen Michael Brown und Eric Garner.
"Ursprünglich wollte niemand Hashtags wie traditionelle Wörter nutzen",
schreibt Matthias Heine.
"Aber in dem Maße, in dem Twitter und Facebook zum Bestandteil des Alltagslebens einer großen Gruppe von Menschen wurde, entdeckten immer mehr davon die Ausdruckmöglichkeiten, die ein Hashtag bietet. Mittlerweile ist die Kommunikation im Internet durchsetzt von Pseudo-Hashtags, die keinerlei weiterleitende Funktion haben, sondern nur eine Art Kurzkommentar sind."
"Diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen"
Kaum zu bremsen ist Arno Frank in seinem Zorn auf den Hashtag #jesuischarlie. Er zitiert in der taz den Charlie-Hebdo-Zeichner Bernard Holtroop, der noch lebt, weil er unterwegs war in die Redaktion, mit dem Satz:
"Wir kotzen im Strahl auf all diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen." -
"Auch in Deutschland", schreibt Frank, "wollten in der vergangenen Woche alle plötzlich 'Charlie´ sein, von taz bis 'Tagesschau´, von der Welt bis zur Westfalenpost, von der Linken bis zur NPD, vom Bandidos-Chapter Bamberg bis zu Pegida. Sieht so aus", meint Frank, "als stünde der Satz 'Je sui Charlie´ zur Stunde für ein ungewöhnlich breites gesellschaftliches Bündnis. Millionen auf den Straßen. Und ist nicht der Hashtag #jesuischarlie bis heute soundso oft getwittert worden? Ist er. Und es bedeutet exakt so viel, wie es kostet - gar nichts. 'Je suis Charlie´ ist nicht als politisches Handeln zu verstehen oder zu übersetzen mit 'Ich teile solidarisch die Werte, für die diese Leute gestorben sind und würde es gegebenenfalls selbst tun´. Nein, 'Je suis Charlie´ bedeutet 'Huch!´, 'Oje!´ oder 'Nee, also so was!´. Es ist der Brummton der Betroffenheit."
In derselben taz sagt Ali Dilem, der bekannteste Karrikaturist Nordafrikas, der bei dem Pariser Attentat enge Freunde verloren hat, im Interview:
"Ich habe keine Angst. Ich habe gelernt, sie zu beherrschen. Das hat nichts mit Mut zu tun. Es ist vielmehr eine Frage der Gewöhnung."
Die Verabredung am Telefon hatte er mit den Worten bestätigt:
"Bis morgen dann. Falls ich noch am Leben bin."
Und Reiner Wandler berichtet, ebenfalls in der taz, aus Madrid:
"Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy ist Charlie, doch nur in Paris. Während der Konservative am Sonntag mit Dutzenden hochrangigen Politikern für Meinungsfreiheit und gegen Terrorismus demonstrierte, bereitet der oberste Strafgerichtshof in Madrid ein Verfahren gegen den Humoristen Facu Díaz vor."
Solidarisieren kann man sich mit dem Satiriker, der den regierenden Konservativen in Madrid ein Dorn im Auge ist, unter #JeSuisFacu.
Tweets auf Twitter zu "#JeSuisCharlie"
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