Aus den Feuilletons

Über den "Volkswagen unter den Shakespeare-Zitaten"

Ein bislang unbekanntes Portrait des englischen Lyrikers William Shakespeare, das im Februar 2014 in Mainz präsentiert wurde.
Ein bislang unbekanntes Portrait des englischen Lyrikers William Shakespeare. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Hans von Trotha · 16.04.2014
Anlässlich des 450. Geburtstages von William Shakespeare interpretiert die "Berliner Zeitung" Zitate des Dramatikers. "Sein oder Nichtsein" vergleicht sie mit einem VW. Und wie sähe dann ein Mercedes unter Zitaten aus?
Es ist fast Ostern. Da wird's dann ein paar Tage "außerwerktäglich". Das schöne Wort entstammt einem Beitrag von Gustav Seibt zu Max Webers Begriff des "Charisma" in der SÜDDEUTSCHEN. "So kühl", so Seibt, "die definitorische Sachlichkeit des Herrschaftssoziologen daherkommt, so sehr beginnen seine Formulierungen auf einmal zu singen: 'Das ewig Neue, Außerwerktägliche, Niedagewesene und die emotionale Hingenommenheit dadurch sind hier Quellen persönlicher Hingebung." – "Das Schlüsselwort", so Seibt, "ist 'außerwerktäglich´: Hier kann es keine Routine, kein Debattieren und schon gar nicht den Verweis darauf geben, das habe man schon immer so gemacht. Unterm Charismatiker wird nicht gewählt, sondern enthusiastisch zugestimmt." – "Der Herrschaftsverband", so zitiert Gustav Seibt Max Weber, "ist die Vergemeinschaftung in der Gemeinde oder Gefolgschaft. Der Typus des Befehlenden ist der Führer. Der Typus des Gehorchenden ist der 'Jünger'".
Als Weber das schrieb, gab es Hitler noch nicht. Und so konnten alle noch an Jesus denken bei der "Außerwerktäglichkeit".
Weil nun also Ostern ist, befragt Patrick Bahners in der FAZ den irischen Schriftsteller Colm Tobín über seinen neuen Roman, ein "fiktives Protokoll der Erinnerungen der Gottesmutter Maria". FAZ-Fazit: "Wunder passen schlecht in einen Roman".
Das ist im Fernsehen ganz anders, schon gar zu Ostern. Vox bringt "Die Bibel" als Dreiteiler. Was wir da zu erwarten haben, vermitteln die Schlagzeilen. FAZ: "Da kommt er, der uns voraus ist, weil er vor uns war". Tagesspiegel: "Ex-Model erlöst Menschheit". SÜDDEUTSCHE: "Um Himmels Willen". Die Welt: "Die rosa Lippen des Messias".
Okay, die Welt hat wieder mal gewonnen. Dabei jagt uns das Blatt kurz vor Ostern noch einen gehörigen Schrecken ein, indem es die beiden Bösewichte zusammenspannt, die gerade unseren Seelenfrieden bedrohen: "Vom Ende des falschen Friedens", lesen wir, "Europa war seit 1989 Trittbrettfahrer. Nun zahlt es an Google und Putin den Fahrpreis." - An Google und Putin? Da will man doch gleich wissen, wie Torsten Krauel diese Kurve kriegt. Geht ganz schnell. Er verweist darauf, "in welche Abhängigkeit Deutschland und Europa sich nach 1989 gebracht haben ... . Bei der Energiepolitik hängen wir am russischen Gashahn, beim Internet an amerikanischen Konzernen." Das ist das Schöne am Feuilleton – noch die steilste Kurve kann sich hier als Zielgerade tarnen. Europa, so Krauel, "übernahm Fortschrittsideen von Dritten. Europa war der Trittbrettfahrer der Weltgeschichte. Jetzt ... kommen die Schaffner und fordern den Fahrpreis."
Google und Putin als Schaffner auf dem Zug der Zeit. Jede Epoche bekommt wohl die Bilder der Apokalypse, die sie verdient.
Krauel bemüht für seine Argumentation übrigens einen Feuilleton-Aufreger der frühen Neunzigerjahre. Er zitiert Francis Fukuyamas Rede vom "Ende der Geschichte".
Nun ist das mit Zitaten ja so eine Sache. Ob sie passen, liegt im Auge des Betrachters. Die BERLINER ZEITUNG zitiert nachgerade exzessiv auf ihrer ersten Feuilletonseite. "Mein Gott warum hast Du sie verlassen?", wandelt Ingeborg Ruthes Artikel zu Otto Dix´ Triptychon "Der Krieg" das zentrale Osterzitat ab, um sich sogleich ins nächste Zitat zu flüchten: "Jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn". Schiller. Die Glocke. Das Zitat zum Schluss ist im vierten Monat des Gedenkjahrs schon so abgenudelt, dass Ruthe es gar nicht mehr als solches ausweist, wenn sie Dix´ Bild "eine schwer auszuhaltende Metapher der Urkatastrophe der Moderne" nennt.
Gleich daneben sinniert Jan Bachmann über Respekt, beziehungsweise dessen Abwesenheit und über den Satz: "Jugend kennt keine Tugend". Woher kommt der eigentlich?
Und schließlich dürfen anlässlich des 450. Geburtstags von William Shakespeare die Feuilletonisten der BERLINER ZEITUNG Shakespeare-Zitate interpretieren. Harald Jähner nennt "Sein oder Nichtsein" den "Volkswagen unter den Shakespeare-Zitaten". Da fragt man sich, wie wohl ein Mercedes unter Zitaten aussehen könnte. Wie wär's mit: "Der Lord lässt sich entschuldigen. Er ist zu Schiff nach Frankreich." Klingt irgendwie nach deutscher Wertarbeit. Ist es ja auch. Das ist nämlich schon wieder Schiller.