Aus den Feuilletons

Tausende Briefe von Fontane kommen ins Netz

Büste des Dichters Theodor Fontane in Bad Freienwalde in Brandenburg
Büste des Dichters Theodor Fontane in Bad Freienwalde in Brandenburg © imago/snapshot
Von Burkhard Müller-Ullrich · 23.04.2017
Das Potsdamer Fontane-Archiv hat sich Großes vorgenommen, schreibt die "Die Welt": Die mehr als 10.000 Briefe des in Brandenburg geborenen Schriftstellers Theodor Fontane sollen - kommentiert und mit Querverweisen versehen - im Internet veröffentlicht werden.
Vielleicht wirft das Fontane-Jahr 2019 schon einen langen Schatten voraus, vielleicht ist es aber auch einfach Zeit für ein solch anspruchsvolles Editionsprojekt, das Tilman Krause in der WELT vorstellt: die Briefe des großen Romanciers sollen in einem Internetportal des Potsdamer Fontane-Archivs veröffentlicht werden –
"mit fortlaufend zu ergänzenden Kommentaren und Verweisen, die eine klassische Buchausgabe zum Überlaufen bringen würden."
In der Tat hat Fontane so viele Briefe geschrieben, dass bis heute niemand einen genauen Überblick hat.
"Gut begründete Schätzungen gehen von 11.000 bis 12.000 Schreiben aus."
Wir sind also in Proust'schen Dimensionen. – Was aber ist ein Bummelstil? Das hätte man doch gern gewusst, da die Überschrift von Krauses Artikel lautet:
"Nur mein künstlicher Bummelstil hat mich gerettet."
Anführungszeichen suggerieren, dass es sich hier um ein wörtliches Zitat handelt. Aber korrekt ist das nicht: Der Überschriftenmacher hat es aus einer längeren Passage sinngemäß montiert. Sie geht so:
"Ich bin Autodidakt und von einem Gymnasialdirektor-Standpunkt aus weiß ich sozusagen nichts. Es würde dies noch schlimmer hervortreten, wenn ich mich nicht eines künstlichen Bummelstils befleißigte. Das rettet wieder, aber doch wohl nicht genug."
Jetzt wissen wir zwar immer noch nicht, was "Bummelstil" genau bedeutet, aber wir ahnen: er ist das Nonplusultra jedes Feuilletons. Tilman Krause formuliert es so:
"Er wollte nicht belehren, sondern unterhalten – intelligent urban, kolloquial und zivilgesellschaftlich auf der Höhe."

Globalgeschichte vor der Globalisierung gerettet

Und so blättern wir in unserem eigenen Bummelstil die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG auf, wo Gustav Seibt – intelligent urban, kolloquial und zivilgesellschaftlich auf der Höhe – die Globalgeschichte vor der Globalisierung rettet – jedenfalls vor dem zeitgeistigen Konjunkturtief, das der Globalisierung bevorzustehen scheint.
Globalgeschichte - oder auch "Big History" - sei, so erklärt Seibt,
"keine ausschließlich geschichtswissenschaftliche Disziplin. Sie verknüpft Zivilisationsgeschichte mit Evolution und Anthropologie (…) Die wichtigste Frage, die sie stellt, lautet: Warum bilden Menschen nicht nur tribale Kleinverbände aus, sondern Städte, Staaten, Großreiche und Zivilisationen, im Gegensatz zu allen anderen Naturwesen?"
Globalgeschichte ist also nicht unbedingt die Geschichte der Globalisierung, sondern kann – um nochmals Seibt zu zitieren –
"auch alle Zweifel aufnehmen, die der Globalisierung derzeit entgegenschlagen: Was verliert man, wenn man den Nationalstaat aufgibt zugunsten von Weltmarkt, Weltfirmen und Nichtregierungsorganisationen, die sich ihre Gesetze selber schreiben?"

In Lübeck hat man etwas richtig gemacht

Die Perspektive der Globalgeschichte ist also pluralistisch. Den Singular vermeidet sie. Und von einem segenbringenden Plural soll jetzt zum Abschluss noch die Rede sein. In Lübeck hat man nämlich etwas richtig gemacht, erfahren wir von Dankwart Guratzsch, dem Architekturkritiker der WELT.
"Im alten Gründungsviertel zu Füßen der Marienkirche, dort, wo die 'Urzelle' der Hansestadt vor einem Dreivierteljahrhundert weggebombt wurde, soll ein Stück 'neue Altstadt' entstehen, errichtet von privaten Bauherren, kleinteilig, gemischt, urban. Wie kann das gelingen? Indem die Stadt die Grundstücke nicht en bloc meistbietend an einen Generalübernehmer oder Großinvestor verkauft, sondern einzeln, Parzelle für Parzelle, an Privatleute und Baugenossenschaften."
Die laienhafte Frage, warum das nicht immer und überall so gemacht wird, beantwortet der Artikel im weiteren Verlauf: Es liege meistens an der Drückebergerei der Stadtverwaltungen. Denn haben die mehr Arbeit, wenn jedes Haus einzeln ausverhandelt werden muss. In Lübeck geht es immerhin um einen Komplex von 38 Grundstücken. Ein durchsetzungsstarker Bausenator kann aber hier einen Paradigmenwechsel bewirken. Lübeck ist insofern nicht bloß ein Sonderfall, sondern ein Vorbild.
"Künftig wird es nicht mehr möglich sein", heißt es in der WELT,
"dass sich eine Stadtverwaltung hinter dem Argument verschanzt, sie habe sich bei der Absegnung struktur- und stadtbildschädlicher Bauprojekte dem finanziellen Druck von Investoren beugen müssen."
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