Aus den Feuilletons

Seyran Ates will liberale Moscheegemeinde gründen

Seyran Ates
Die deutsch-türkische Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ates: "Auch wir Linken müssen uns mehr um Religionen kümmern." © picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler
Von Arno Orzessek  · 13.03.2017
Kein Kopftuchzwang, keine Geschlechtertrennung, alle islamischen Rechtsschulen unter einem Dach: So stellt sich die deutsch-türkische Anwältin Seyran Ates die Moschee der "modernen Muslime" in Berlin vor. Ihre Pläne erläutert sie in der "Welt" im Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble.
"'Ich schenke den Deutschen eine Moschee'", titelt die Tageszeitung DIE WELT.
Denn genau das, den Deutschen eine Moschee schenken, das will der türkische Präsident Recep Tayyip.
Nein, Quatsch! Kleiner Scherz!
Nicht von unserem zornigen Efendi Erdogan haben wir die Moschee zu erwarten, sondern von der Rechtsanwältin und Publizistin Seyran Ateş samt Mitstreitern.
Die Idee zu der avisierten "Ibn Rushd-Goethe-Moschee" – benannt nach dem arabisch-andalusischen Philosophen, der auch als Averroës bekannt ist, und einem älteren deutschen Dichter – hat Ateş im Gespräch mit Wolfgang Schäuble entwickelt.
"'Er hat mich überzeugt, dass wir […] die Gemeinde der modernen Muslime […] sichtbar machen müssen. Wir können nicht nur über die bösen und schlechten Verbände meckern und uns darin gefallen, die aufgeklärten Muslime zu sein. […] Auch wir Linken müssen uns mehr um Religionen kümmern […]. In unserer Moschee soll es auf keinen Fall eine Geschlechtertrennung geben, keinen Kopftuchzwang und neben dem Imam auch eine Imamin. […] Zudem sollen sich bei uns alle Rechtsschulen des Islam treffen, austauschen und zusammen beten.'"
Seyran Ateş in der WELT. Wir sagen: Respekt! Und wünschen: Gutes Gelingen!
Im übrigen warnt Ateş davor, herunterzuspielen, "dass die meisten Deutsch-Türken noch sehr viel Alltagsrassismus und Diskriminierung erleben, also immer Ausländer bleiben. Das frustriert sehr, vor allem, wenn man sich angestrengt hat, in diesem Land Fuß zu fassen."
Berühmt für ihre offenherzige Toleranz und Welt-Offenheit, das sind die Niederlande schon länger nicht mehr.
Und nun behauptet der US-Komiker Greg Shapiro in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG von seiner Wahlheimat Niederlande sogar: "Es war vielleicht nie dieses tolerante Land."
Allerdings kann Shapiro seine These nur auf höchst private, selektive Eindrücke stützen. Darüber hinaus fällt auf, dass seine Gedanken frei sind – gerade von innerem Zusammenhang.
"Warum ist der Entwurf von ‚leben und leben lassen‘ an seine Grenzen gestoßen?" will die NZZ wissen.
Hier Shapiros Antwort. Man beachte, womit er anfängt und womit er endet.
"Vielleicht sind diese Entwicklungen in den Niederlanden sinnbildlich für allgemeine Trends der Globalisierung. Es gibt hier so unglaublich viele Touristen, das Tempo des Alltags steigt immer weiter an, genauso der Takt der Veränderungen. Wo sollen die Einwohner hin, wenn alles von Fremden vereinnahmt wird, die aus ihren Reisebussen steigen und sich wie eine Plage über alles hermachen. Worum es wirklich geht, ist die Anpassungsfähigkeit des Menschen. Wir stehen gerade erst am Anfang des technologischen Wandels. Der erste Mensch, der 150 Jahre alt wird, lebt wahrscheinlich schon. Und wir streiten darüber, ob wir mit 65 oder 67 in Rente gehen."
Sollten Sie den roten Faden in Shapiros Argumentation finden, liebe Hörer, empfehlen wir sie gern als Magier weiter.
"Der lange Schatten des Rassismus", der liegt laut FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG auch und insbesondere über den USA – und zwar schon lange.
Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Hartmut Berghoff erinnert an den Anti-Katholizismus, der in den 1840er Jahren, als Hunderttausende Deutsche und Iren ins Land strömten, einen Höhepunkt erreichte.
"Verschwörungstheorien grassierten. Die Einwanderer schienen die Vorhut des Papstes zu sein. Seine Armee, so die damaligen 'fake news', würde […] bald angreifen und in Cincinnati einen neuen Vatikan errichten. Katholiken seien aufgrund ihres Gehorsamsgelübdes gegenüber dem Papst unzuverlässig und nicht integrierbar. In den Zentren der katholischen Einwanderung in Neuengland kam es wiederholt zu blutigen Übergriffen. Katholische Priester wurden geteert und gefedert, ihre Kirchen in Brand gesteckt."
Es waren also finstere Zeiten. Und ob die unsrigen heller sind, sei dahingestellt.
Falls es Ihnen schnuppe sein sollte, die elementare Unruhe, die man Gegenwart nennt, näher zu verstehen, liebe Hörer – die TAGESZEITUNG wäre bei Ihnen. Sie titelt:
"Selbst schuld, wer um Verständnis ringt."
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