Aus den Feuilletons

"Seine Kostüme waren eigentlich Songs"

Blick in die David-Bowie-Ausstellung im Londoner Victoria & Albert Museum
Eine David-Bowie-Ausstellung im Londoner Victoria & Albert Museum zeigt die Kostüme des Künstlers © dpa / picture alliance / Bogdan Maran
Von Hans von Trotha · 11.01.2016
David Bowie war ein einzigartiger Verwandlungskünstler. Nach seinem Tod würdigen Deutschlands Feuilletons den Künstler für seine zahlreichen Inkarnationen. Dietmar Dath übt sich dabei in der "FAZ" in halsbrecherischen Metaphern.
Wenn unter einem Feuilleton-Artikel der Zusatz "Siehe Seite drei" steht, dann hat es eines der wirklich wichtigen Themen ins Feuilleton geschafft – oder eine Kulturmeldung ganz nach vorn. Mit dem Tod von David Bowie ist Letzteres der Fall. Neben dem Hinweis auf die Seite drei hat die SÜDDEUTSCHE ihm aber auch die erste Feuilleton-Seite reserviert. Denn die Redaktion findet, wie die Überschrift kalauert, Bowie sei "Jenseits von jedem". 15 Autoren dürfen da etwas über ihren Lieblings-Bowie-Song schreiben. Max Fellmann etwa meint:
"Bitte nicht vergessen: die ungefähr fünfminütige Rock-Phase. Nach etwa zwölf Inkarnationen und mehreren Welthits kam Bowie 1989 auf die Idee, eine Rock-Band zu gründen. (...) Die Fans mochten die Idee nicht, dabei war der Ansatz, in all seinem Größenwahn, souverän: Er hatte den 'Popstar´ durchdekliniert, jetzt versuchte er, den 'Rockstar´ umzudefinieren. Ganz geklappt hat es nicht. Aber den Versuch war es wert."
In der NZZ betont dagegen Markus Ganz: "Im Spätwerk und insbesondere auf dem letzten Album, 'Blackstar´, kam auch der Einfluss des Jazz wieder stärker zum Ausdruck."
"Seine Songs glichen oft Rollen eines Schauspielers"
Derart vielschichtige Musik mit Worten zu beschreiben, ist natürlich schwierig. Für die FAZ ist Dietmar Dath kein metaphorischer Rittberger zu halsbrecherisch:
"So waren zum Beispiel seine Kostüme eigentlich Songs, Schnürriemen wie Gitarrenakkorde, riesige, stolze Nackenschirme wie Drone-Rock-Breitseiten, Rehfellgewänder wie Brecht-Weill-Balladen, Seidenturbane wie kreuz und quer ums Hirn gewickelte Saxophonsoli. Seine Songs dagegen glichen oft Rollen eines Schauspielers ... Seine Film-, Theater- und Hörbuchrollen ... wiederum legte er wie Performanceprojekte eines Konzeptkünstlers an."
Da hat einer die von allen bemühte Metapher des vielseitigen Künstlers als Chamäleon immerhin mal mutig ausgedeutet.
Verstörender Befund zu einem Trend aus den USA
Ansonsten ist vor allem ein Thema von der Seite 3 im Feuilleton angekommen: die Angst.
Unter dem Titel "Furcht und Schrecken der Politik" stellt der amerikanische Soziologe Jonathan Haidt in der SÜDDEUTSCHEN fest: "Vorurteile wegen der Hautfarbe oder der Religion sind längst nicht mehr die größte Gefahr für die Demokratie. In Amerika trennt nichts die Menschen so sehr wie die Parteizugehörigkeit."
Haidts einigermaßen verstörender Befund lautet: "Einige der Trends, die zu dieser Lage in den USA geführt haben, zeichnen sich auch in anderen Ländern ab: Mehr Ausbildung und Individualismus (beides macht die Menschen ideologischer), mehr Zuwanderung und ethnische Vielfalt (beides reduziert soziale Bindungen und Vertrauen), stagnierendes Wirtschaftswachstum (vermittelt den Menschen das Gefühl eines Nullsummenspiels)."
Frauen kommen nicht zu Wort
"Die Angst des weißen Mannes" überschreibt Alan Posener in der WELT eine " kurze Kulturgeschichte der bedrohten Unschuld" aus Anlass der Kölner Übergriffe, um an deren Ende festzustellen: "Wer bei diesem Diskurs über den Körper der Frau nicht zu Wort kommt, das sind die Frauen selber; das gilt auch nach den Vorfällen von Köln. Ulrich Reitz vom 'Focus´ schrieb in seinem Editorial vom gefährdeten 'Seelenheil von Männern, die Partnerinnen nicht mehr beschützen können´. Die einzige Frau, die er zitierte, war Claudia Roth – aber nur, um sie zu kritisieren, weil sie sich gegen einen Generalverdacht gegen Flüchtlinge ausgesprochen hat. Was übrigens der Verfassung entspricht. Wo aber die Angst herrscht, hat die Verfassung kaum Chancen", schreibt Alan Posener, übrigens auch ein Mann.
Einer Frau bleibt es vorbehalten, die Themen des Tages in der TAZ zusammenzufassen:
"Von mir aus", schreibt Doris Akrap, "ist es linksversüfft, hält man nicht alle Maghrebiner für Kiffer und Vergewaltiger, nur weil Leute aus der gleichen Gegend es sind. ... Von mir aus ist es linksversüfft, wenn ich weiterhin daran glaube, dass es normal ist, dass nicht jeder Flüchtling Arzt und braver Schwiegersohn wird, sondern mancher Flüchtling sich betrinken und einen Riesenscheiß bauen wird. Und dass es unter einer Million Flüchtlingen Antisemiten, Vergewaltiger und Rackets gibt wie unter Deutschen Antisemiten, Vergewaltiger und Rackets. Fast war ich David Bowie dankbar, dass er gestorben ist. So war zumindest für ein paar Stunden Ruhe."
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