Aus den Feuilletons

Sein und Online

Ein Internetnutzer hat ein Tablet auf dem Schoß, darauf ist eine Facebook-Illustration zu sehen. Seine Beine sind über eine Sofalehne geschwungen.
Facebook-Illustration auf dem Tablet im Schoß eines Nutzers. © picture alliance / dpa / Josef Horazny
Von Hans v. Trotha · 30.10.2014
Im Computer gibt es keine große Pause wie im Theater: Der Besucherschwund der Analog-Bühnen beschäftigt heute mehrere Feuilletonisten. Sind Twitter und Facebook schuld oder gar die "Blogwarte", von denen einer schreibt?
Die Welt macht ihrem Namen gern insofern alle Ehre, als sie im Feuilleton die ganz großen Fragen titelt. Diesmal: "Sein oder Online". Joachim Lottmann begehrt gegen den Vorschlag des Berliner Kulturstaatssekretärs Tim Renner auf, die Berliner Theaterpremieren zu digitalisieren. "Gibt es Strindbergs Psycho-Kleinkriege bald maßstabsgerecht auf dem Tablet?", fragt er entsetzt. Überhaupt stellt er viele Fragen: "Leben wir nicht alle im digitalen Zeitalter? Ist das Neue nicht stets besser als das Alte? Ist die Jugend denn anders zu erreichen als durch den Computer? Geht überhaupt noch jemand ins Theater? Was gibt es zu verlieren?"
Es sind dies Fragen, die auch die anderen Blätter umtreiben. Barbara Villiger Heilig etwa liefert in der NZZ "Nackte Zahlen" – das die Überschrift, und in der Schweiz heißt das etwas – zum Besucherschwund in den Theatern. "Weniger Publikum – was bedeutet das nun?", fragt sie, und dann folgen Sätze, die in ihrer NZZ-haften Abgeklärtheit verstören: "Langsam, aber stetig verliert das Theater Publikum, im Rhythmus des Wandels der Zeit." Und: "Das Theater, wie wir es kennen, hat eine jahrtausendealte Tradition. Es gilt als Kulturgut. Doch wie jeder Luxus ist es keine Selbstverständlichkeit. Dem Strukturwandel sind, immer wieder, schon ganze Branchen zum Opfer gefallen, andere – Beispiel: Printmedien – sehen sich gerade zu Anpassungen im grossen Stil gezwungen."
Das kann Frau Villiger Heilig laut sagen. Braucht sie aber nicht mehr, denn das nimmt ihr Ex-Stern-Chef Michael Jürgs ab, der in der Süddeutschen aus Anlass der Entlassung von Redakteuren bei Gruner + Jahr das Hohelied auf Leute wie sich singt. Und Jürgs singt laut. Von wegen Strukturwandel, damit gibt sich einer wie Jürgs nicht ab und schon gar nicht zufrieden, nein: "Was bei Gruner + Jahr passiert, ist eine Kulturrevolution", so Jürgs. Auch er stellt die "Sein-oder-Online?-Frage", auf seine Art, das heißt: Er fragt nicht, sondern er gibt die Antwort:
"Nicht Twitter rüttelt die Menschen auf, sondern besondere Geschichten", so Geschichtenerzähler Jürgs, und weiter: "Blogwarte jedweder Couleur" – Blogwart mit g, nicht etwa mit ck, also bitte, Herr Jürgs – "ersetzen nicht eine – eben doch nötige – moralische Grundhaltung. Das ist altmodisch. Aber immer noch wahr."
Zumindest ist wahr, dass es altmodisch ist. Erst recht altmodisch ist die Geschichte, die Dirk Pilz in der Berliner Zeitung erzählt, dass nämlich am Samstag in Berlin eine Buchhandlung eröffnet, noch dazu, das sei Frau Villiger Heilig nach Zürich zugerufen – eine Spezialbuchhandlung fürs Theater. "Das ist schön", findet Pilz, "und weil wir in Zeiten leben, von denen die kommenden Historiker sagen werden, in ihr habe der umfassendste Medienwandel seit der Durchsetzung der Buchdruckerei und der Reformation stattgefunden – das war vor gut 500 Jahren –, lösen Meldungen über Buchhandlungsgründungen zumeist Oho-Reaktionen aus."
Die eine nennt's Strukturwandel, der andere Kulturrevolution, der Dritte Medienwandel – doch Dirk Pilz hat noch nicht aufgegeben:
"Als hieße Medienwandel, das Alte werde vom Neuen schlicht ersetzt. Dabei wandelt sich durch das Aufkommen neuer Medien vor allem die öffentliche Aufmerksamkeitspolitik – und vergrößern sich die Möglichkeiten, sie zu gestalten."
Wie die wirklich aussehen, haben wir immer noch nicht recht verstanden, obwohl Maike Laafs es uns in der taz immer und immer wieder erklärt, heute mit der Lektion: "Wie wir in die digitale Echokammer hineinrufen, so schallt es auch zurück". "Das Netz hat Möglichkeiten geschaffen, um das Publizieren zu demokratisieren", lernen wir, aber auch, was das mit sich bringt, nämlich: "Echokammern zum Reinschreien. Ohne die Notwendigkeit, Gegenpositionen diskutieren zu müssen."
"Hätte es damals schon digitales Theater, Twitter, Facebook und so weiter gegeben", schreibt Joachim Lottmann melancholisch in der Welt, "wäre meine Liebe zum Theater wohl nie entstanden". Und dann kommt er noch mit einem echten, einem großen Argument, mit etwas, was das Netz tatsächlich noch hinbekommen muss, bevor es endgültig übernehmen kann: "Im Computer", so Lottmann, "gibt es keine Magie, keine Atmosphäre" – da kann man noch dagegenhalten, aber dann nicht mehr – "und vor allem: keine große Pause."
Das ist doch ein klares Programmierziel für die digitalen Echokammern.
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