Aus den Feuilletons

Satire unter Erdogan

Eine türkische Fahne weht im Wind.
Eine türkische Fahne weht im Wind. © picture alliance / dpa-ZB / Jens Kalaene
Von Arno Orzessek · 19.01.2015
Trotz der türkischen Repressionen gegen die französische Charlie-Hebdo-Ausgabe sei in keinem anderen muslimisch geprägten Land die Anteilnahme für die Opfer von Paris so groß gewesen wie in der Türkei, lesen wir in der "FAZ". Die wichtigsten Satiremagazine veröffentlichten eine gemeinsame Charlie-Hebdo-Gedenkausgabe.
Ernst erfüllt die frischen Feuilletons, die einem gedruckten Echo auf den Terror unserer Tage und zu älteren Zeiten gleichen.
"Zwingt der Terror der postheroischen Gesellschaft ein neues Heldentum auf?", fragt der Politologe Herfried Münkler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG – und bejaht.
"Eine Handvoll […] Attentäter kann eine Gesellschaft von zig Millionen Menschen bis ins Mark treffen. […] Eine der ersten Reaktionen besteht […] darin, dass die Opfer des Anschlags zu Helden erklärt werden. So war es mit den Feuerwehrleuten in New York, so ist es jetzt mit einigen Polizisten in Paris. […] Man leugnet das Postheroische und unternimmt semantische Manöver, indem man die Attentäter einer 'feigen Tat' bezichtigt, der man die eigenen Helden gegenüberstellt."
Ob sie nun Helden galt oder nicht - der Philosoph Slavoy Zizek verweigert in der TAGESZEITUNG der besagten Pariser Trauerfeier seinen Segen.
"Das Pathos der umfassenden Solidarität, das sich nach den Pariser Morden explosionsartig ausbreitete, endete am 11. Januar im heuchlerischen Spektakel der Politiker aus der ganzen Welt, die sich an den Händen hielten. Die wahre Charlie-Hebdo-Geste wäre gewesen, auf dem Titel der Ausgabe von letztem Mittwoch eine Karikatur zu bringen, die sich spöttisch zeigt gegenüber diesem Ereignis: Netanjahu und Abbas oder Lawrow und Cameron […], die sich leidenschaftlich umarmen und küssen, während sie hinter ihren Rücken die Messer wetzen."
So Zizek in der TAZ.
"Die Leser haben den Humor verstanden"
Eine bessere Meinung vom Pariser Trauermarsch behielt Tuncay Akgün zurück, Herausgeber des türkischen Satire-Magazins Leman.
Akgün sei sehr bewegt gewesen, berichtet Hülya Özkan-Bellut in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG und betont:
"In keinem anderen muslimisch geprägten Land war die Anteilnahme für die Opfer von Paris so groß wie in der Türkei. So veröffentlichten die wichtigsten Satiremagazine […] eine gemeinsame 'Charlie-Hebdo'-Gedenkausgabe."
Satire unter Erdogan? Klingt gefährlich.
Laut Özkan-Bellut treten auch tatsächlich Tugendwächter auf, sogenannte AK-Trolle, die der Regierungspartei AKP nahestehen.
"[Aber] den Gegenwind [so Özkan-Bellut] nimmt Tuncay Akgün […] relativ locker. So hat er kürzlich ein komplett regierungsfreundliches Blatt veröffentlicht, eines ganz nach Präsident Erdogans Geschmack, wie er sagt, mit Inhalten voller Lobeshymnen auf den Präsidenten. Die Leser haben den Humor verstanden."
Tagebuch eines Guantanamo-Gefangenen
Gar nicht witzig geht es bekanntlich im Gefangenenlager Guantanamo Bay zu.
Und nun erscheinen, wie die FAZ titelt, "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" - und genauer: das Tagebuch von Mohamedou Slahi, Gefangener seit zehn Jahren.
"Man weiß als Leser dieses qualvollen und qualvoll langen Berichtes nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über seine intellektuelle Überheblichkeit den Amerikanern gegenüber oder über seinem Restbestand an Humor […]. Aber irgendwann erreichen die Folterer ihr Ziel, Slahi gesteht, was er nicht getan hat […]; er denunziert vermeintliche Al-Qaida-Kameraden, die er gar nicht kennt",
konstatiert FAZ-Autor Hannes Hintermeier bitter.
Unter dem schaurigen Titel "Guantanamero" berichtet Uwe Schmitt in der Tageszeitung DIE WELT:
"John LeCarre nennt Slahis Tagebuch 'eine Vision der Hölle, jenseits von Orwell, jenseits von Kafka'. Am 22. März 2010 ordnete ein US-Richter Slahis Freilassung an; die Obama-Regierung legte Berufung ein. […] Slahi bleibt in Guantanamo interniert. In Fidelio singt der Gefangenchor: 'Die Hoffnung flüstert sanft mir zu/wir werden frei, wir finden Ruh'."
Womit wir traurig und schön enden könnten…
"Alles wird gut"
Fiele nicht unser Auge auf das Bild einer prächtigen hölzernen Moschee in der SZ.
Es war laut Volker Breidecker die erste Moschee auf deutschem Boden. Sie wurde – man staune - 1915 für muslimische Kriegsgefangene im "Halbmond-Lager" in Wunsdorf bei Berlin gebaut.
Nun. Wir sind angesichts der Lage in der Welt und in den Feuilletons nicht völlig von der These überzeugt – wollen aber nicht verschweigen, dass selbige SZ in einer Überschrift behauptet:
"Alles wird gut."
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