Aus den Feuilletons

Russophilie und Russophobie

Mann mit russischer Fahne und zwei Soldaten auf der Krim (Aufnahme vom 3. März 2014)
Mann mit russischer Fahne und zwei Soldaten auf der Krim © dpa / picture alliance / Stanislav Krasilnikov
Von Adelheid Wedel · 21.04.2014
Die Kulturpresseschau befasst sich unter anderem mit dem Verhältnis der Deutschen zu Russland, mit der serbisch-russischen Freundschaft und mit einem neuen Buch des französischen Ökonomen Thomas Piketty über das "Capital im 21. Jahrhundert".
"Die Beziehungen zwischen beiden politischen und geistigen Kulturen waren seit jeher besonders, weil ihnen seit Jahrhunderten eine besondere Überhöhung eigen war", schreibt Jörg Himmelreich in der Tageszeitung DIE WELT zum deutsch-russischen Verhältnis. Er erzählt eine "kleine Geschichte der Russland-Liebe", die von Nachsicht der Deutschen mit Putin geprägt ist. Das ergibt die jüngste Umfrage von Infratest Dimap, nach der "49 Prozent der Befragten eine mittlere Position der Bundesrepublik zwischen Russland und dem Westen vorziehen, gegenüber 45 Prozent, die für einen deutschen Platz fest im westlichen Bündnis sind".
Der Autor konstatiert: "Je hemmungsloser sich Putin wider jeden Völkerrechts an der Ukraine vergreift und die westliche Welt ihn deswegen anklagt, desto mehr wächst in der deutschen Öffentlichkeit das 'Verständnis' für ihn." Jörg Himmelreich schaut in die Vergangenheit und stellt fest: "In Deutschland ging mitunter zugleich bitterste Russophobie mit verehrungsvollster Russophilie eng einher."
Der Autor zitiert Zeugen für seine Aussage: "Während Karl Marx den halbasiatischen Despotismus des Zarentums als eine anhaltende, existenzielle Gefahr für Europa verurteilte, pries Nietzsche nur wenige Jahre später den Willen zur Autorität, der Russland auszeichne." Nietzsche sah in Russland den Gegensatzbegriff zu der erbärmlichen europäischen Kleinstaaterei ... Auch nachfolgende deutsche Schriftsteller und Intellektuelle priesen "Russland als ein auf seine große Zukunft wartendes Land".
Rainer-Maria Rilke, Thomas Mann, Oswald Spengler, Moeller van den Bruck, Ernst Bloch werden in dem Zusammenhang genannt. Allesamt hegten sie Heilserwartungen, "die jeweiligen tristen politischen Realitäten des Zarenreichs und der UdSSR haben die Russlandutopien deutscher Literaten und Philosophen nie zu trüben vermocht". Den heute breiten Chor der deutschen Russland-Versteher sieht Himmelreich als "spätes Echo jenes besonderen deutschen Verhältnisses zu Russland". Er fordert von der Bundesregierung den Mut, "sich gegenüber diesen letzten Klängen eines manchmal verhängnisvollen deutschen Komplexes taub zu stellen".
In der Tageszeitung TAZ untersucht Sonja Vogel die Serbisch-Russische Freundschaft. Sie berichtet: "Serbische Politiker preisen Putin, und serbische Kleinstädte dienen ihm die Ehrenbürgerschaft an." Russland hat dort kein Imageproblem. Nach einer Meinungsumfrage gilt den Bewohnern Serbiens die EU als "böse", Russland als "gut". Dabei zieht bei der Bevölkerung "die Vorstellung vom 'großen slawischen Bruder' vor allem wegen der negativen Folgen der EU- Assoziierung, den zügellosen Privatisierungen und einer Serbien überhaupt feindlich gesonnenen Welt".

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG stellt Thomas Steinfeld eine Neuerscheinung vor. Der französische Ökonom Thomas Piketty "will die Volkswirtschaft neu begründen und macht damit Weltkarriere, schreibt Steinfeld. Sein 'Capital im 21. Jahrhundert' über die Ungleichheit gilt schon kurz nach Erscheinen als eines der wichtigsten ökonomischen Werke der jüngeren Zeit" oder wie die FINANCIAL TIMES erklärt: als "außerordentlich wichtiges Buch, das niemand zu übersehen sich leisten könne". Als Piketty in der vergangenen Woche durch Nordamerika reiste, wurde er vom Finanz-minister in Washington bis zu den Vereinten Nationen in New York auf eine Weise herumgereicht, "als habe er die Weltformel entdeckt".
Der 1971 geborene Piketty erklärt in seinem Buch, der gesellschaftliche Reichtum sei zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht anders verteilt als vor hundert oder zweihundert Jahren. "Heute wie damals gebe es eine kleine Gruppe extrem reicher Menschen ... , während der weitaus größere Teil der Menschheit wenig mehr besitzt als die Arbeitskraft, die er zu Markte trägt." Die SZ überschreibt den Artikel mit "der olle Marx". Es scheint, als habe er sich mit Piketty verjüngt.