Aus den Feuilletons

Putin und Pegida

Pogida-Demonstranten stehen am 20.01.2016 auf dem Bassinplatz in Potsdam (Brandenburg) mit einem Transparent "Wir lassen uns nicht länger belügen! Wir sind das Volk".
Pogida-Demonstranten auf dem Bassinplatz in Potsdam mit einem Transparent "Wir lassen uns nicht länger belügen! Wir sind das Volk". © Ralf Hirschberger, dpa picture-alliance
Von Adelheid Wedel · 26.06.2016
Aus Glasnost, Perestroika und "Wir sind das Volk" hätten sich bedrohliche Strukturen entwickelt, befürchtet der "Tagesspiegel". Es drohe ein Rückfall in Zeiten, in denen Grenzen allein zum Verändern existierten und Herrschaft wechselte wie das Wetter.
"Jetzt haben wir den Salat", schreibt Paul Ingendaay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und meint damit den Ausgang des Votums in Großbritannien. "Es ist, als kennten wir die britische Kultur – und hätten doch einen wichtigen Teil überlesen", sinniert er, in Gedanken die literarische Ahnengalerie Großbritanniens abschreitend. Sein Fazit:
"Großbritanniens Ausscheren bedeutet einen Schock für Anglophile, aber ganz seltsam ist die Exzentrik der Inselbewohner auch wieder nicht."

Britische Künstler reichen uns durch den Eurotunnel die Hand

Trost findet Ingendaay in der Überlegung:
"Die Intellektuellen und das aufgeklärte London haben unverändert zur Europäischen Union gehalten. In einem offenen Brief forderten 300 britische Schriftsteller, Musiker und Schauspieler ihr Land zum Bleiben in der EU auf."
Das war vor dem Referendum, "genutzt hat es nichts". Fest steht, so der Autor, "sie wollen nicht weg von uns und reichen uns durch den Eurotunnel hindurch die Hand". Zu fragen ist:
"Ist die 'Leave'-Bewegung also die Antithese jenes gebildeten, kulturell verschwenderisch reichen Großbritannien, das wir Anglophilen in unseren literarischen Phantasien seit jeher zu bewohnen glaubten?"
Ingendaays Blick auf die "Ahnengalerie der Eigenbrötler" führt zu dem Schluss:
"Wir verstehen manches an diesen Figuren, aber nicht alles. Ihre Sturheit ist unübersehbar (…) und der Isolationismus steckt ihnen in den Genen. Doch tief drinnen (…) vertrauen wir wohl darauf, dass sie nicht durchdrehen, sondern britisch und halbwegs maßvoll bleiben."

Wo bleibt der britsche Wutpop?

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG beschäftigt sich Jan Kedves mit dem Brexit und stellt fest: "Die Wut hat im englischen Pop eine lange Tradition, doch zur Lage der Nation gibt es keine bösen Songs."
Warum, fragt der Autor, ohne eine Antwort zu geben. "Zwar wurde auf den Brexit übers Wochenende in der britischen Popwelt nach sämtlichen Regeln des Oxford-Dictionary geflucht", aber nicht im eigenen Medium, nicht in den Songs. Die Popstars halten offenbar Meinung und Musik auseinander. "Auf Twitter schimpfen und spotten, in der Musik eher diffus bleiben, weiter feiern. So sieht der aktuelle britische Wutpop aus. Mit dem alten britischen Wutpop hat er nicht mehr viel gemein", urteilt Jan Kedves.

"Volksbynien" will nicht von einem Belgier regiert werden

Im TAGESSPIEGEL bringt Rüdiger Schaper verschiedene Stellen, an denen uns der Schuh drückt, so geschickt zusammen, dass man Ende nicht mehr weiß, ob es zum Lachen oder zum Weinen taugt. Er schreibt:
"Aus Glasnost, Perestroika und 'Wir sind das Volk' entwickelten sich anhaltend bedrohliche Typen und Strukturen. Putin und Pegida. Erst stürzen die Reiche im Osten, nun zerbröselt Großbritannien, vielleicht Spanien demnächst. Madrid verliert Barcelona und bekommt Gibraltar zurück, und dann wachen auch die Basken wieder auf. Man fühlt sich um Jahrhunderte zurückversetzt in Zeiten, als Grenzen allein zum Verändern existierten und Herrschaft wechselte wie das Wetter."
Vom Brexit kommt Schaper mühelos zum Exit des Volksbühnenchefs Castorf und informiert: "Der Volksbühnen-Protest gegen Chris Dercon muss im europäischen Zusammenhang gesehen werden. Es ist ein Protest gegen Brüssel und die EU. Das Haus will nicht von draußen regiert werden, schon gar nicht von einem Belgier.
Im Grunde genommen will Volksbynien auch nicht vom Berliner Senat regiert werden", meditiert Schaper weiter in seiner Glosse und malt sich die Zukunft so aus: "Wahrscheinlich wird die Volksbühne aus Berlin austreten und unabhängig werden. Frei von Brüsseler und Berliner Gesetzen wählt sich das Theater seine eigene Staatsform. Vermutlich gelenkte Demokratie oder Monarchie. Frank I. wird aus dem Exil zurückgeholt. Alles wird, wie es bleibt, oder umgekehrt."

Zsuzsanna Gahse zum 70. Geburtstag

An diesem Montag feiert Zsuzsanna Gahse ihren 70. Geburtstag. In den Feuilletons wird die in Budapest geborene Schriftstellerin als "Meisterin der kleinen Prosa" gefeiert, "eine die herkömmlichen Grenzen der Gattungen souverän ignorierende Schriftstellerin und eine begnadete Übersetzerin aus dem Ungarischen". Der TAGESSPIEGEL zitiert die Dichterin: "Nie werde ich tausend Seiten schreiben, um etwas zu begründen. Über nichts möchte ich tausend Seiten schreiben", sagt sie. Klaus Hübner ergänzt: "Nein, so richtig dicke Bücher gibt es von ihr nicht. Nur gute."
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