Aus den Feuilletons

Pingelige Posse um Brittens Kinderoper

Der britische Komponist Benjamin Britten am 14. April 1953 in London.
Die Kinderoper "Noahs Sintflut" des britischen Komponisten Benjamin Britten ist ins Visier von Schweizer Laizisten geraten. © picture alliance / dpa / Central Press
Von Ulrike Timm · 29.05.2015
Die religiösen Verse in "Noahs Sintflut" störten die Genfer Bildungsbehörde. Sie ließ Grundschülern das Singen von Benjamin Brittens Kinderoper kurzerhand verbieten. Ein fanatischer Umgang mit dem Schweizer Laizismus, urteilt die "FAZ".
"Noahs Arche wird versenkt!" – und zwar von der Bildungsbehörde des Kantons Genf in der Schweiz. Die nämlich verbot Grundschülern, bei Benjamin Brittens Kinderoper "Noahs Sintflut" mitzusingen, die religiösen Verse seien ein Verstoß gegen den Laizismus. Zuhören und zugucken hätten die Kinder übrigens gedurft.
"Nun gerät Genf unvermittelt in den Ruf, mit dem Laizismus noch pingeliger und fanatischer umzugehen als die Franzosen, bei denen ein Kopftuch oder eine Kinderkrippe eine Staatsaffäre auslösen können",
schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. In der Logik der Genfer Bildungsbehörde müsse man wohl auch Victor Hugos "Notre Dame" verbieten, auch Montaigne, Rabelais oder Mozart könnten Opfer dieser Zensur werden, empört es sich nun im Parlament – ob die Arche wieder auftauchen darf ? Die Antwort steht noch aus, die Posse ist passiert.
High-Tech-Boom mit Nebenwirkungen
Die TAZ führt uns an einen Ort, wo man die friedliche Koexistenz von strengster Religiosität und profanem Geschäftsleben nun rein gar nicht vermutet hätte, Angela Gruber begleitet eine ultraorthodoxe Jüdin, eine Haredim, die ein Start-up für Software gegründet hat – in einem Viertel von Bnei Brak nahe Tel Aviv, wo Männer und Frauen auf verschiedenen Straßenseiten laufen, "der Sittsamkeit wegen".
Das kleine Israel ist eines der innovativsten Länder der Welt, es beherbergt eine boomende Start-up-Szene, die seit Jahren erfolgreiche Tech-Firmen hervorbringt – in die Welt der Ultraorthodoxen, die vom Netz nichts wissen wollen und schon den Fernseher verweigern, drang diese Welt bislang nicht vor. Aber es bröckelt, 80 Prozent aller Ultraorthodoxen sind arm, sie können sich ihre Weltferne schlicht nicht mehr leisten. Und suchen nach neuen Wegen, wie die Unternehmerin, Mutter von sieben Kindern, für die das Netz beruflich kein Problem ist:
"Solange sie es nicht für ihr Vergnügen benützt".
Koschere Handys und ein Internet ausschließlich für E-Mails - es ist ein spannender Einblick in eine völlig ferne Welt, den uns die TAZ-Autorin ermöglicht.
Unersetzbarer Reich-Ranicki
An eine literarische Welt ohne Internet und Smartphones erinnert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und fragt sich, ob unter den heutigen Gegebenheiten die geplante Wiederauferstehung des Literarischen Quartetts überhaupt gelingen kann. Christopher Schmidt fragt nicht bloß, ob jemand Daumen-hoch-Daumen-runter-Reich-Ranicki ersetzen kann:
"Die Debatte um das Literarische Quartett der Neunzigerjahre war geprägt vom Verdacht, hier werde das hohe Amt der Literaturkritik boulevardisiert. Heute geht es unter umgekehrten Vorzeichen um die Frage, wie Qualitätsfernsehen möglich ist. Geschwunden ist die Autorität der Kunst- und Geschmacksrichter mit ihren Bannflüchen und Vernichtungsblitzen. Moralische Instanzen sind heute nur noch die Fernsehköche."
Später Ruhm für eine 100-Jährige
Supermulmig fühlt sich denn auch der Chef im Ring in spe, Volker Weidermann, mit Grund. Superfröhlich schaut die Malerin Carmen Herrera auf ihr 100-jähriges Leben, erst vor sechs Jahren wurde die Künstlerin der leuchtenden Farben international bekannt. Frei nach dem Sprichwort, ein Bus kommt immer, man muss nur lang genug warten, konterte Herrera einmal:
"Ich habe vierundneunzig Jahre an der Bushaltestelle verbracht."
Bis heute arbeitet Carmen Herrera unbeirrt weiter. Die FAZ gratuliert zum hundertsten, mit einer schönen Überschrift:
"Wer zuletzt malt, lacht am besten."
Glückwunsch!
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