Aus den Feuilletons

Osteuropäer wollen weder Schwulen- noch Militärparaden

Demonstranten mit einer Regenbogenflagge beim "Marsch der Gleichberechtigung" während des Kiew Pride im Juli 2013.
Demonstranten mit einer Regenbogenflagge beim "Marsch der Gleichberechtigung" während des Kiew Pride im Juli 2013. © picture alliance / dpa / Sindeyev Vladimir
Von Burkhard Müller-Ullrich · 24.05.2016
Der Westen führe einen selbstherrlichen Diskurs über europäische Werte, findet der Politologe Iwan Krastew. In der "FAZ" meint er, die Osteuropäer müssten sich "zwischen Militärparaden und Schwulenparaden entscheiden, dabei wollen sie beides nicht".
Um Himmels willen, werden viele denken, wenn sie den deutschen Pavillon in den venezianischen Giardini demnächst, bei der Eröffnung der Architektur-Biennale am kommenden Wochenende, erblicken: Was ist denn da passiert. Von Ferne, so berichtet Hanno Rauterberg in der ZEIT, sehe der Pavillon aus, "als habe man ihm eine SUV-kompatible Einfahrt verpassen wollen, vielleicht damit BMW oder Audi hier ihre neuen Modelle präsentieren können".
Jedenfalls klaffen da riesige Lücken in den historischen Mauern:
"Was bislang Wand war, geschlossen, geweißt, eine undurchdringliche Sperre, ist nun torartig aufgebrochen. Dieser Pavillon braucht keine Tür mehr, er steht allen offen, und das unbewacht, ungeschützt, man könnte sagen: uneingegrenzt."
Dank Rauterbergs Wortwahl fällt jetzt auch bei uns der Groschen: der Kurator des Pavillons, Oliver Elser, möchte wohl auf die politischen Probleme Deutschlands anspielen und die Schönheit totaler Offenheit vorführen.
"Was für eine blöde, biedere, populistische Idee, möchte man rufen", nimmt uns Rauterberg das Wort aus dem Mund, aber dann gerät er doch deutlich ins Schwärmen, weil der Blick vom Inneren ins Freie einfach schön ist.

Trumps Baulöwentricks

Schön ist an einem anderen Gebäude, das in Manhattan steht, und an dem sich Peter Richter für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG abarbeitet, gar nichts:
"Schwarz, groß, gold", lautet die Überschrift, und gemeint ist damit der 68 Stockwerke hohe Trump Tower, der als ein Sinnbild all der Übel beschrieben wird, die den Vereinigten Staaten drohen, falls Donald Trump die Präsidentenwahl gewinnen sollte. Er selbst residiert ja mit seiner Familie in den obersten drei Etagen dieses Wolkenkratzers, und bevor Richter mit der Baubeschreibung überhaupt beginnt, teilt er mit, dass manche Leute in Amerika Trumps Weg ins Weiße Haus mit den Machtübernahmen des europäischen Faschismus vergleichen und dass ein Komiker neulich gesagt haben soll: "Trump ist Hitler."
So präpariert, erfahren wir, mit was für niederträchtigen Baulöwentricks Trump einst die Bewilligung für eine möglichst große Geschoßzahl ergaunerte. Im SZ-Wortlaut klingt das so:
"Ein paar Geschosse mehr bekommt nämlich genehmigt, wer Wohnraum schafft. Daher türmen sich über 30 reinen Gewerbeetagen nun noch 38 Flure mit Apartments. Ein paar Geschosse mehr gibt es, wenn besonders viel Ladenfläche geschaffen wird, und noch mehr darf man, wenn es im Erdgeschoß eine Passage für die Öffentlichkeit gibt."
Wir waren schon drauf und dran, uns – angestachelt vom Agitationston des Artikels – gewaltig über die Trumpsche Skrupellosigkeit in Hochbausachen zu empören, da fiel uns ein, dass solche Deals bei jedem vergleichbaren Großprojekt überall auf der Welt – und sogar in Deutschland! – gang und gäbe sind.

Selbstherrlicher Diskurs des Westens

Wie ein negatives Image konstruiert wird, das kann man derzeit exemplarisch an dem selbstherrlichen Diskurs in Westeuropa in Bezug auf Osteuropa untersuchen. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG interviewt dazu den bulgarischen Politologen Iwan Krastew und den schweizerischen Historiker Oliver Jens Schmitt. Beide konstatieren, dass sich die Osteuropäer nicht mehr so leicht wie in der Zeit nach 1989 von Westeuropa vorschreiben lassen, was als europäischer Wertekonsens zu gelten hat.
Dass die Ehe auf Homosexuelle ausgedehnt werden müsse, dass Millionen Muslime aufgenommen werden müssen, das seien willkürliche Setzungen des Westens, die man im Osten als Zumutungen empfinde.
"In Gesprächen etwa mit rumänischen Intellektuellen habe ich den Eindruck bekommen, dass sie eine Schwächung des europäischen Zentrums fürchten", sagt Oliver Jens Schmitt.
"Sie fühlen sich von Russland bedroht und wollen sich in Abgrenzung davon als Europäer definieren, aber die Kriterien dieser Definition sind ausschließlich westlich, und ihre Auffassung vom Westen werden von der westlichen Elite nicht mehr geteilt – das verwirrt sie."
Und Iwan Krastew spitzt es aphoristisch zu:
"Die Osteuropäer haben den Eindruck, sie müssten sich zwischen Militärparaden und Schwulenparaden entscheiden, dabei wollen sie beides nicht."
Die Klarheit und Offenheit dieser beiden Gesprächspartner der FAZ hat leider in unseren Feuilletons immer noch Seltenheitswert.
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