Aus den Feuilletons

Odysseus als Seeräuber

Ein Mosaik am Flughafen der tunesischen Insel Djerba mit einer Darstellung der Irrfahrt des Odysseus
Die Irrfahrt des Odysseus: Trieben ihn wirklich die Götter übers Meer? © imago / UIG
Von Ulrike Timm · 01.08.2016
Ein Ausstellungsbesuch kann inspirierend sein: Dass das Piratentum die mediterrane Kultur wohl stärker geprägt hat als der Wein, lesen wir in der "Taz". Der Autor war im Varusschlacht-Museum in Kalkriese bei Bramsche.
"Die Seeräuberei hat die mediterrane Kultur wahrscheinlich mehr geprägt als der Wein."
Schluck, auf den Vergleich muss man auch erst mal kommen. Bernd Schirrmeister von der TAZ hat einen Ausflug ins Varusschlacht-Museum in Kalkriese bei Bramsche gemacht, wo man sich hingebungsvoll und offenbar auch fantasieanregend der Geschichte der Seeräuberei widmet. Die Schau selbst ist übersichtlich, ein paar Pfeilspitzen, ein paar Amphoren und ein paar lebensgroße Pappkameraden im Showroom – aber den sagensattelfesten Kollegen inspiriert sie zu Gedanken(aus)flügen:
"Waren es wirklich die Götter, die Odysseus nach der Eroberung Trojas kreuz und quer übers Meer irren ließen – oder war er eher auf der Jagd nach dem ganz großen Ding? War Jason ein goldgeiler Freibeuter und Medea sein Beifang?"
Die Piraten selbst verliert die Ausstellung nach Meinung Schirrmeisters aus dem Blick, besonders wenn man krachledern die Kurve ins 20. Jahrhundert ziehen will – aber der Artikel in der TAZ ist ein Genuss.

Angst als verbindendendes Glied einer Kette

Das kann der FAZ-Essay "Was uns in dieser Lage möglich ist" naturgemäß nicht sein, nimmt er doch Bezug auf all die Einschnitte, die binnen kürzester Zeit für Verunsicherung, für Ängste sorgten, Nizza, München, Würzburg, Ansbach.
Doch wie der Schriftsteller und Friedenspreisträger Navid Kermani Verunsicherung und Angst als verbindendendes Glied einer Kette zulässt und benennt, ohne alles mit allem einfach zu vermengen, das beeindruckt in seiner Nachdenklichkeit wie in seiner intellektuellen Schlüssigkeit mehr als vieles, was dazu in den letzten Tagen zu lesen war. Kermani appelliert an den menschlichen Verstand, wenn er sagt, Zitat:
"Allerdings breitet sich nicht jeder Schwelbrand zu einem Inferno aus, und die Beispiele aus der Historie, in denen eine gefährliche Gemengelage nicht zu einer Menschheitskatastrophe geführt, sondern sich auch wieder aufgelöst hat, dürften weitaus zahlreicher sein – man erinnert sich ihrer nur nicht so gut. Panik, die sich als unbegründet erweist, ist schließlich immer auch etwas peinlich."
Glättend, Probleme wegmoderierend ist Kermanis Text dabei beileibe nicht:
"Was den IS so brandgefährlich macht, ist, dass er den einzelnen in den Stand versetzt, Einfluss auf die Weltpolitik zu nehmen" und "Wer beim Töten 'Alluha akbar' ruft, kann Geschichte schreiben" heißt es in der FAZ, und weiter:
"Wäre etwa der Islamische Staat mit seinen kaum mehr als 30.000 Kämpfern besiegt und wären seine Führer verurteilt, gäbe es weiterhin Männer in Europa, die anfällig sind für den Dschihadismus, aber es gäbe keine Siegergeschichte mehr, in die sie sich einreihen könnten ... Erst wenn wir begreifen, dass wir gemeinsam angegriffen werden, gleich ob wir in Mittelfranken oder in Afghanistan leben, können wir uns auch gemeinsam wehren."
Kermanis Essay in der FAZ wünschen wir viele konzentrierte Leser.

Seekrank vom missratenen Aufkleber

Und widmen uns noch schnell einem grotesken, aber gut lösbaren Problem, dem Brandenburger Tor als missratenem Aufkleber nämlich. Die BVG in Berlin hat das verzapft und S- und U-Bahnen mit dem Wahrzeichen der Stadt dekoriert, aber ach:
"Alle sechs Säulen sind falsch gezeichnet, mal zu kurz, mal zu breit, mal in sich verdreht. Wer länger hinschaut, wird seekrank davon",
Und das Ding ziert auch noch eine Quadriga, die eher an eine lang gekochte Bandnudel erinnert als an ein stolzes Viergespann! Gemach – das nehmen wir als Ansporn, dachte sich ein gewitztes Designerduo und brachte neue Sticker in Umlauf, mit denen die Fahrgäste in Selbsthilfe das verhunzte Brandenburger Tor auf Berliner S-Bahnfenstern ausbessern, reparieren, perspektivisch richtigstellen können. Vielleicht nicht gerade Urban Art, aber vergnügliche Abwehr von Urban Krakeling durch eine Verkehrsgesellschaft - die, immerhin, Humor bewies, und "über Twitter fragte, ob sie alle Sticker haben kann".
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