Aus den Feuilletons

Nicht nur Rechte wünschen sich Heimat

Ein Gartenzwerg steht in Dresden (Sachen) auf einer Wiese mit vielen Krokussen.
Der Gartenzwerg: Symbol von Spießbürgertum oder Heimat? © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Arno Orzessek · 21.03.2017
Die "Welt" druckt unter dem Titel "Es braucht mehr Provinz" einen Auszug aus Heribert Prantls neuem Buch. Denn der "SZ"-Redakteur hat so eine Art "Gebrauchsanweisung für Populisten" geschrieben und zeigt, warum wir den Wunsch nach Heimat respektieren sollten. Und in der "FAZ" echauffiert sich Dietmar Dath über den "Schlabberschlingschockwabbel".
"Es braucht mehr Provinz" titelt die Tageszeitung DIE WELT - und das ist aus mehreren Gründen interessant.
Erstens ist die Aussage wirklich so gemeint, also keine ironische Überheblichkeit der urbanen Meinungselite.
Zweitens liegt die Aussage beileibe nicht im Trend, denn die Meinungselite favorisiert ja mehrheitlich aufgeklärte Urbanität.
Drittens stammt der Text unter dem "Mehr Provinz"-Titel von Heribert Prantl, der als Mitglied der Chefredaktion der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zur urbanen Meinungselite gehört.
Allerdings hat Prantl, dessen Kommentare oft moralisch angereicherten Gebrauchsanweisungen für richtige Demokratie gleichen, soeben das Buch "Gebrauchsanweisung für Populisten" geschrieben. Der Text in der WELT ist ein Vorabdruck daraus.
Prantl sinniert:
"Die Welt [gemeint ist hier unser Planet] muss heimatlicher werden, um dem Extremismus zu wehren. Zur Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Populisten gehört daher, ihren Wunsch nach Heimat zur respektieren. Der Wunsch, eine Heimat zu haben, ist kein brauner Wunsch, er ist schlicht ein menschlicher. Heimat besteht nicht in Blut und Boden. Heimat ist Urvertrauen – das Urvertrauen, sicher und geborgen zu sein. […] Die Welt zur Heimat zu machen, das fängt in Kleinkleckersdorf an."
Wie aber Prantls Argumentation weitergeht, das lesen Sie bitte selbst nach.
Eine Heimat haben zu wollen, ist natürlich nicht gleichbedeutend mit nationalistischer Gesinnung. Gleichwohl suchen heute Menschen ihre Heimat vermehrt im Nationalen und in ihrer Ethnie.

Neues Bedürfnis nach Eindeutigkeit

"Grenzkontrollen sind vielen sehr recht", stellt der Historiker Nenad Stefanov im Gespräch mit der TAGESZEITUNG fest – und weiter:
"Es gibt ein neues Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Und die ist immer auch mit der Fantasie einer homogenen, ethnisch-reinen Abstammungsgemeinschaft verbunden und materialisiert sich in Grenzen. Am Brexit sieht man eins ganz deutlich: Die Irrationalität dieser Fantasie. In England überwindet sie sogar die instrumentelle Rationalität der Ökonomie. Dort wollen große Teile der Gesellschaft die Grenze so sehr, dass sie auf den Freihandel verzichten",
staunt Stefanov in der TAZ.
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG beleuchtet Charlotte Wiedemann die Verhältnisse in Iran.
"Gute Perser, böses Iran – Verklärung ist die kleine Schwester der Dämonisierung. […] Heutige Persertümelei erinnert […] an eine unselige Liaison zwischen Iran und Nationalismus. Beeinflusst vom völkischen Denken Europas erträumte sich Schah Reza in den 1930er Jahren sein Iran als ethnisch homogene persisch-arische Nation. Zur Belohnung wurden die Iraner dann 1936 durch ein Dekret des 'Dritten Reichs' von den Nürnberger Rassegesetzen ausgenommen: als amtlich reinblütige Arier. Erstaunlich viele Iraner hängen diesem Mythos heute an und sehen sich in einer engen, gar verwandtschaftlichen Beziehung zu Deutschen", ...
... schreibt Charlotte Wiedemann in der NZZ.

Alles Fremde ist abscheulich

Lassen wir nun von irdischen Problemen.
Der Horror-Streifen "Life" von Regisseur Daniel Espinosa handelt vom Kontakt zwischen der Crew einer Weltraumstation und einem extraterrestrischen Wesen. Dietmar Dath charakterisiert es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG als "Schlabberschlingschockwabbel".
Der Schlabberschlingschockwabbel nun, schimpft Dath, ...
"... meuchelt in diesem erbärmlichen Quasi-Remake von Ridley Scotts 'Alien' […] bewährte Kräfte aus aller Welt […], damit wir begreifen, dass die Science Fiction sich irrt: Science, als Wissenschaft, nährt die Annahme, dass das Fremde und Neue faszinierend und alle Bemühungen um Verständnis wert sei, während Fiction, also Erzählkunst, die Annahme nährt, dass das Fremde und Neue interessant und alle Grazie der Einfühlung wert sei, aber [der Film] 'Life' verneint beides und brüllt sein Publikum mit der Behauptung an, das Fremde und Neue sei abscheulich und ausschließlich zum Töten da."
Hocherzürnt: Dietmar Dath in der FAZ.
Angesichts des skizzierten Schlamassels kämen wir jetzt von selbst nicht darauf… Aber eine Überschrift in der NZZ fordert allen Ernstes: "Singt und jauchzt!"
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