Nachrichten aus der gelenkten Demokratie
Von Hans von Trotha · 22.02.2017
In der FAZ erläutert Deniz Yücel, wie der türkische Präsident Erdogan die Demokratie benutzt, um seine Ziele zu verfolgen. Christian Mihr von "Reporter ohne Grenzen" vergleicht die Attacken Donald Trumps auf die Medien mit denen lateinamerikanischer Linkspopulisten.
Die FAZ gibt Deniz Yücel viel Raum, den Stand der Dinge in der Türkei und deren Vorgeschichte darzulegen, eine Geschichte, die ihn, den kritischen Journalisten, in Polizeigewahrsam gebracht hat.
Yücel zitiert den Erdogan der 90er-Jahre:
"Die Demokratie ist ein Mittel, kein Ziel, eine Straßenbahn, von der wir abspringen, wenn wir am Ziel sind."
Seine lesenswerte Analyse beendet Yücel so:
"Als Straßenbahn würde Erdogan die Demokratie heute nicht mehr bezeichnen. Er hat erkannt, dass es keine bessere Legitimation als Wahlen gibt. Allerdings ist Demokratie für ihn kein Katalog unveräußerlicher Prinzipien, zu denen der Schutz von Minderheiten und das Gebot zum Kompromiss gehören. Und wenn man alle Mittel einsetzt, kann man dafür sorgen, dass bei Wahlen die gewünschten Ergebnisse herauskommen. Eine gelenkte Demokratie. Oder eine plebiszitäre Diktatur. Doch ist Erdogan nicht einmal um den Block gelaufen, um zu landen, wo er anfing – beim politischen Islam. Er hat seine eigene ideologische Tradition mit den hässlichsten Traditionslinien des türkischen Staates verknüpft. Eines ist ihm dabei herzlich egal: Europa."
Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen", sagt dem TAGESSPIEGEL:
"Sollte man Yücel in Untersuchungshaft nehmen, wäre das wirklich ein weiteres verheerendes Signal."
Befragt, nach der Situation in den USA, meint Mihr:
"Trumps rhetorische Attacken auf die Medien gleichen denen lateinamerikanischer Linkspopulisten oder der nationalkonservativen Regierungen in Ungarn und Polen. Im Grunde bestätigt das nur unsere alte Beobachtung, dass unabhängige Medien immer zu den ersten Zielscheiben von Herrschern mit autoritären Neigungen gehören."
Für Polen bestätigt das Gabriele Lesser in der TAZ, indem sie schildert, wie das konkret vor sich geht:
"Gefeuert wurden ältere und hochqualifizierte Redakteure, um an ihrer Stelle junge, unerfahrene, aber billigere Journalisten einzustellen. Die Folge ist eine Berichterstattung, die auf Sensationen setzt und immer weniger mit der Realität zu tun hat."
Publizistische Attacken auf "Gutmenschen"
Einen ähnlichen Prozess beschreibt Gero von Randow in der ZEIT für Frankreichs literarisch-politische Revuen.
"Die älteste ist die 'Revue des Deux Mondes'. Wer heute auf ihre Geschichte zurückblickt, der denkt an Autoren wie Balzac und Baudelaire, Cocteau, Hugo … Mittlerweile allerdings attackieren Autoren der 'Revue' das feindliche Lager der 'Gutmenschen' auf einem Niveau, wie man es nur von rechten Kampfpostillen kennt. Was sich derzeit rund um die Revue abspielt, wirft ein Schlaglicht auf die intellektuelle Situation Frankreichs: auf den Aufstieg der Medienintellektuellen und die Konkurrenz um Aufmerksamkeit, auf den Wettstreit darum, wer denn nun der eigentliche und der beste Nonkonformist sei – doch vor allem auf die Sorglosigkeit, mit der die Akteure dieses Spiels auftreten, während die Rechtsradikalen das höchste Staatsamt ins Visier nehmen."
Dazu befragt die ZEIT auch den jungen Schriftsteller Èdouard Louis. Der erzählt:
"Meine Mutter sagt, sie wähle Le Pen, weil die 'Eier' habe. Auch über sich selbst hat meine Mutter gesagt: 'Ich lasse mir nichts gefallen, ich hab schließlich Eier in der Hose.' Das ist die rechte Apologie harter Männlichkeit."
Rosafarbener Globus
Kann es sein, dass die Geschlechterdiskussion im 21. Jahrhundert noch einmal auf Los zurück gegangen ist? Das würde auch den rosa Globus erklären, von dem Malte Göbel in der TAZ berichtet:
"Der renommierte Globushersteller Räthgloben aus dem sächsischen Markranstädt hat einen pinken und einen blauen Kinderglobus hergestellt: einen für Mädchen, einen für Jungs. Immerhinbeeilt sich das Unternehmen, via Website mitzuteilen: Gern dürfen Sie diese Farbvariante auch für Ihren Sohn erwerben."
Der Globus steht laut TAZ auf der Shortlist für den "Goldenen Zaunpfahl", "der jährlich die schlimmsten Gendermarketing-Absurditäten auszeichnet", darunter aktuell: "geschlechts-spezifische Milch für Babys" und "das pinkfarbene Überraschungsei für Mädchen".
Okay. Da wundert einen gar nichts mehr, nicht einmal die Eier von Marine Le Pen.