Aus den Feuilletons

Monica Lewinsky, eine Heldin der Feministinnen?

Monica Lewinsky 2015 in Horten bei Oslo.
Monica Lewinsky 2015 in Horten bei Oslo. © picture alliance / dpa / Gorm Kallesstad
Von Arno Orzessek · 20.03.2015
Die "Berliner Zeitung" singt ein Loblied auf Regisseur Frank Castorf. "Die Welt" verabschiedet den streitbaren Heinz Buschkowsky in den Ruhestand. Und die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über die Rückkehr der Monica Lewinsky – als Heldin einiger US-Feministinnen.
Monika Lewinsky ist zurück, der Islamische Staat immer noch da, Heinz Buschkowsky nach dem 31. März weg – und wir werden all das auch behandeln.
Doch vorher befassen wir uns mit einer Tätigkeit, für die kein Baumarkt Werkzeuge verkauft, nämlich mit dem "Seelen aussägen". So überschreibt die BERLINER ZEITUNG ihre Kritik zu Frank Castorfs Hamburger Inszenierung von Hans Henny Jahns Tragödie "Pastor Ephraim Magnus". Nicht weniger ansprechend als die Überschrift "Seelen aussägen" ist übrigens das Nacktfoto der Schauspielerin Jeanne Balibar als Johanna im Kühlschrank. Am aufregendsten ist aber wohl das Stück selbst.
"'Pastor Ephraim Magnus' [erklärt Dirk Pilz] erzählt von drei inzestuös miteinander verbundenen Pastorenkindern, die auf je eigensinnigen Wegen ihrem Gott zu gefallen trachten. Der eine, Ephraim, will unbedingt kastriert und ans Kreuz geschlagen werden, der andere, Jakob, hackt Frauen auf, um im Gedärm nachzuschauen, wo die Seele wohnt, wofür ihm von der Staatsgewalt der Kopf abgeschlagen wird. Johanna wiederum möchte mit ihrem Bruder begraben werden."
Schmerzhaft gut findet Dirk Pilz Castorfs Inszenierung und die Leistung der Schauspieler.
"[Da] spielen sie in Hamburg Figuren, als liefen sie über glühende Kohlen, als würden sie gerädert, gepeitscht, verfolgt. […] Als wären sie Bildern von Holbein oder Goya entflohen, als würden sie von den Sätzen geknebelt. […] Man erschrickt vor diesen Figuren, man verfällt ihnen."
Im Übrigen gleicht die Seite der BERLINER ZEITUNG einer Kampagne für Castorf, der 2016 die Intendanz an der Berliner Volksbühne abgeben soll.
"Bitte, liebe Neukulturpolitiker, pfeift auf Vernunft und Mehrheit, habt Mut und lasst ihn machen, bis er stirbt. Und wenn er vorher abhauen will, schmiedet ihn an", fordert Ulrich Seidler.
Nirgends anschmieden lässt sich Heinz Buschkowsky, demnächst Rentner.
Andrea Seibel berichtet in der Tageszeitung DIE WELT über ihr Treffen mit dem Bezirksbürgermeister Berlin-Neuköllns im örtlichen Café Selig – und über die rüstige Selbstwahrnehmung des SPD-Mannes:
Man kann ihn etikettieren, wie man will, es ödet ihn an
"'Die sind doch froh, dass sie mich los sind.' Selbst in der […] [eigenen Partei] habe man ihn mit dem Massenmörder Breivik verglichen und klammheimlich gedacht, 'nur ein toter Buschkowsky ist ein guter Buschkowsky'. Man kann ihn etikettieren, wie man will, es ödet ihn an. 'Rechtspopulist, Islamophober, Rassist oder deutschtümelnder Pinscher. Nicht sehr intelligent, aber als Totschlagargument erfolgreich', [meint Buschkowsky]. Diese widerborstige Art ist in der Bevölkerung beliebt."
Um sich von Grobian Buschkowsky zu distanzieren und ihn doch anzuerkennen, findet WELT-Autorin Andrea Seibel eine hübsche Formulierung:
"Vor uns steht eine Kerze. […] Ich würde sie gern für ihn anzünden. Für ihn und seine Seele und sein großes Herz."
Ihr Herz für die Erniedrigten und Beleidigten des Internet-Zeitalters entdeckt gerade Monica Lewinsky, berühmt geworden als jene Praktikantin, mit der US-Präsident Bill Clinton ausdrücklich keine 'sexual relations' gehabt haben will.
"'Mit einem Mal war ich die Tussi, das Flittchen, die Schlampe. Ich konnte mich bald kaum noch daran erinnern, wer ich wirklich war'",
erklärte Lewinsky nun auf der TED-Konferenz in Vancouver, wie Andrian Kreye in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG berichtet.
"Die emotionale Dramaturgie [ihres Auftritts] ist perfekt. Als Monica Lewinsky mit dem Aufruf schließt: 'Allen, die so eine Erniedrigung durchmachen müssen, sage ich: Ihr könnt das überleben. Und uns allen sage ich: Es muss nicht sein', springen sie im Publikum auf, applaudieren."
Laut Kreye gilt Lewinsky unter älteren US-Feministinnen bereits als Heldin. Und wir sagen: Wer hätte das damals gedacht, als Lewinsky im planetarischen Maßstab verspottet wurde?
Aus Zeitgründen machen wir mit dem Islamischen Staat kurzen Prozess: Lesen Sie die starke Reportage von Francesca Borri in der TAGESZEITUNG bitte selbst. Hier nur Borris Urteil über Kämpfer, Kopfabschläger und Kombattanten: "[Sie sind] Komplex wie wir alle."
Bleibt zu hoffen, dass eines Tages vom IS gesagt wird, was in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zur Überschrift wurde, nämlich:
"Über die Hölle ist viel Gras gewachsen."
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