Aus den Feuilletons

"Mit Schnappatmung geht man unter"

Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, in ihrem Büro in Hamburg. Der Verlag gibt Zeitschriften wie "Brigitte", "Stern", "Geo" und "Neon" heraus.
Man muss wissen, was man will, findet Julia Jäkel, Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr. Der Verlag gibt Zeitschriften wie "Brigitte", "Stern", "Geo" und "Neon" heraus. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Hans von Trotha · 29.06.2015
"Keine Branche macht sich gerade mit so viel Untergangslust selbst schlecht wie die Presse", mahnt Julia Jäkel, Verlagschefin von Gruner + Jahr im Interview mit der "SZ" zur Ruhe. Passend dazu meldet die "FAZ", dass Papst Franziskus seine Medienabteilung neu sortiert.
"Ich bin nicht knallhart, ich bin entschieden", findet Gruner + Jahr-Chefin Julia Jäkel im SÜDDEUTSCHE-Interview. Und:
"Es kommt darauf an, dass man weiß, was man will. Mit Schnappatmung geht man heute unter."
Schnappatmend untergehen mag offenbar auch der Papst nicht.
"Bessere Presse für Franziskus", titelt die FAZ, "Der Papst sortiert seine Medienabteilung durch."
"Transparenter, straffer organisiert, moderner" – das könnte genauso gut die SÜDDEUTSCHE über Julia Jäkel sein, ist aber die FAZ über Franziskus. Während wir den Satz: "Ihr könnt schreiben, was ihr wollt, Hauptsache, es ist richtig" gern vom Papst gehört hätten, der stammt aber von John Jahr und wird entsprechend von Frau Jäkel im Munde geführt, die sich außerdem beschwert:
"Keine Branche macht sich gerade mit so viel Untergangslust selbst schlecht wie die Presse."
Unterstützt wird sie dabei anscheinend von der Kunst.
"Protest gegen die Protestkultur": Festival "48 Stunden Neukölln"
"Die Medien sind ja ohnehin an allem schuld und Medienkritik wiederum (ist) total hip", stellt Michael Wolf in der WELT anlässlich des Festivals "48 Stunden Neukölln" fest.
"Der sinnlose Konsum, das Leid der Flüchtlinge: Wer als Künstler etwas auf sich hält, macht auf betroffen", gibt sich Wolf entnervt und nennt seinen Bericht einen "Protest gegen die Protestkultur".
Besonders stößt ihm der Umgang mit dem Thema Flüchtlinge auf.
"Ganz abgesehen von der zum Himmel schreienden Anmaßung des Vorhabens, jemand anderem 'eine Stimme zu verleihen', verkehren sich die gut gemeinten Absichten regelmäßig in ihr Gegenteil. Die Menschen bleiben auf ihr und unser Problem mit ihnen reduziert."
Griechenland-Krise: "Die Stunde des magischen Denkens"
Reduktion komplexer Zusammenhänge auf einfache Statements – das ist eines der Themen dieses Feuilleton-Tages. Es "stimmt, dass die Welt komplexer geworden ist", sagt Julia Jäkel, nach der akuten Medienkrise befragt. Und in der FAZ fordert Jürgen Kaube unter der Überschrift "Griechenland als guter Wille und Vorstellung" aus aktuellem Anlass:
"In einer Situation objektiver Ratlosigkeit gehört es zur Rolle von Intellektuellen und Technokraten, sich ganz sicher zu sein."
Stattdessen sieht Kaube "Die Stunde des magischen Denkens" schlagen.
"Die Dinge sind oft nicht so wie in den zu politischen Vereinfachungen angefertigten Beschreibungen. 'Ideologien' hat der amerikanische Ethnologe Clifford Geertz einmal geschrieben, sind nicht nur rhetorische Waffen, sondern auch kognitive Beruhigungsmittel, die gepflegt werden, weil es sonst zu kompliziert würde. Gerade helfen besonders viele Stereotypen und abenteuerliche Vergleiche darüber hinweg, dass eine Gesellschaft, die sich als Wissensgesellschaft feiert, über sich selbst sehr wenig weiß. Doch wer den Versuch macht, Argumente nachzuvollziehen, stößt bald auf Oscar Wildes Satz über den Sozialismus: eine schöne Sache, aber es gehen einfach zu viele Wochenenden dabei drauf.
Die Vorstellung, ein Schuldenschnitt würde die griechische Wirtschaft sanieren, (steht) gegenüber der Phantasie, strenges Sparen und 'Strukturanpassung' genügten, um Wachstum zu erzeugen, an magischem Denken nicht weit zurück."
In der SÜDDEUTSCHEN erinnert der Zeithistoriker Philipp Ther derweil an eine andere, auch ziemlich teure europäische Aktion, nämlich an den "Preis der Einheit" vor 25 Jahren:
"Wer die damaligen Weichenstellungen für alternativlos hält, kann das heutige Deutschland nicht verstehen."
Ther zitiert einen Slogan, der 1990 kursierte:
"Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr!"
Man sollte besser gar nicht erst den Versuch machen, das jetzt auf die Griechen und den Euro umzumünzen.
Neues Vergütungsmodell für Autoren: Amazons Verständnis von Gerechtigkeit
Am Ende geht es doch immer um das Gleiche: um mehr Geld und mehr Gerechtigkeit. Was den Europäern einfach nicht gelingen mag, behauptet jemand hinzubekommen, von dem wir es erst recht nicht erwarten:
"Amazon führt zum 1. Juli ein neues Vergütungsmodell für Autoren ein", berichtet Suanne Lenz in der BERLINER ZEITUNG.
"Sie werden nicht mehr pro verkauftem Buch bezahlt, sondern nach tatsächlich gelesenen Seiten."
Da hat jemand ausgewertet, was die Kindle-Reader übertragen, und spitz gerechnet, wie man mit diesem Wissen den Umsatz steigern kann.
"Amazon jedoch spricht nicht von Geld, Amazon spricht von Gerechtigkeit."
Wenn auch nur ein Mensch das für Gerechtigkeit hält, dann hat sie wohl tatsächlich und endgültig geschlagen, die Kaubesche "Stunde des magischen Denkens".
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