Aus den Feuilletons

Merkel und die Emotionen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). © pa/dpa/Stache
Von Gregor Sander · 20.01.2016
Die "SZ" eröffnet das Feuilleton mit neun Fotos der Kanzlerin. Die Fotos zeigten, dass Merkel lange und ganz bewusst auf Gefühlsabstinenz setzte, lesen wir im zugehörigen Interview mit der Historikerin Ute Frevert. Nun ecke sie - in der Flüchtlingsfrage - mit ihrer emotionalen Haltung an.
Ist es Zufall, dass die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen Tag nach dem schweren Besuch von Angela Merkel in der CSU-Fraktion in Wildbad Kreuth mit neun Fotos der Kanzlerin ihr Feuilleton eröffnet? Ute Frevert, Direktorin des Forschungsbereiches "Geschichte der Gefühle" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, stellt sich darunter deutlich auf Merkels Seite, die sie bis zur Flüchtlingskrise, so sah:
"Ihre Auftritte waren sachlich und leidenschaftslos, das galt für Sprache und Tonfall ebenso wie für Mimik und Körperhaltung. Möglicherweise entsprach das ihrem Naturell. Wahrscheinlicher aber ist, dass die erste Frau auf diesem Posten ganz bewusst einen Gestus der Gefühlsabstinenz zur Schau stellte. Denn selbstverständlich kannte sie die Vorurteile gegenüber weiblichen Politikern: Frauen seien zu emotional für dieses Geschäft."
Ihre neue emotionale Haltung in der Flüchtlingsfrage, habe Merkel viel Sympathie eingebracht, aber eben auch viel Ablehnung. SZ-Autorin Frevert rät ihrer Kanzlerin Folgendes:
"Zugleich wissen Bürger ebenso wie Kanzlerin, dass Deutschland nur so lange Zuflucht und Lebensperspektiven bieten wird, wie es seine arbeits-, sozial-, bildungs-, rechts- und sicherheitspolitischen Standards aufrechtzuerhalten vermag. Es ist die Aufgabe der Regierung, diese Standards zu gewährleisten."
Jede Stradivari ist eine Sphinx
Während die Kanzlerin also die Emotionen als Arbeitsmittel entdeckt hat, war dem Geiger Frank Peter Zimmermann sein Arbeitsgerät abhandengekommen. Immerhin eine Stradivari, wie Wolfram Goertz in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu berichten weiß. Zimmermann spielte diese Geige als Leihgabe einer Bank:
"Als die finanziell angeschlagene Portigon, eine Nachfolgerin der WestLB, den Leihvertrag nicht verlängerte, stand Zimmermann plötzlich ohne Geige da. Seither brannte in ihm ein Phantomschmerz."
Wie ein Märchen klingt das, was der renommierte Geiger Eleonore Büning in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG erzählt.
"Am 18. Oktober hatte ich ein Konzert in Schanghai. Als ich zur Anspielprobe kam, stand vor dem Künstlerzimmer ein Chinese, der passte mich ab, er sprach fließend Deutsch. Das war der Herr Yu. Er sagte, er wolle mir seine Geige zeigen. Ich, so knapp dran mit der Zeit, habe ihn dann aber doch mit reingenommen. In diesem total überakustischen Künstlerzimmer, schon nach drei oder vier Tönen wusste ich: Diese Geige kenne ich!"
Es handelte sich um die vor einem Jahr versteigerte Stradivari General Dupont. Und Herr Yu, der in China ein Vermögen mit ökologisch korrekter Farbe gemacht hat, leiht seinen Schatz nun Frank Peter Zimmermann, der sein Glück in der ZEIT so beschreibt:
"Jede Stradivari ist eine Sphinx für sich. Sie stellt dir nicht drei, sondern dreißig Rätsel. Sie kann bockig sein. Aber wenn du sie ergründet hast, schenkt sie dir Einsicht in die letzten Wahrheiten."
Meinecke ist aus dem PEN-Zentrum ausgetreten
Der Autor und Musiker Thomas Meinecke ist aus dem PEN-Zentrum ausgetreten. Anlass war eine Pressemitteilung des P.E.N. vom 6. Januar, wie Laura Aha in der TAZ berichtet:
"Hierbei ging es um einen im Dezember von der israelischen Regierung gebilligten Gesetzentwurf, durch dessen Verabschiedung, laut P.E.N., die Arbeit regierungskritischer NGOs 'massiv eingeschränkt und behindert' werden könne."
Ein Satz in dieser Presserklärung war zu viel für Meinecke.
"Während nämlich kritische 'linksgerichtete' NGOs, die öffentliche Fördermittel aus dem Ausland erhalten, verschärften Kontrollen unterliegen sollen, gilt dies nicht für 'rechtsgerichtete' Gruppen, die ihre Spenden oftmals auch aus dem Ausland, aber in der Regel von privaten Sponsoren erhalten."
In der Wortwahl erkennt Thomas Meinecke, laut "TAZ selbst bekennender Linker, ein Aufgreifen historisch belasteter jüdischer Klischees.
"Wie etwa die Verschwörungstheorie um das 'internationale jüdische Kapital' oder das 'Weltjudentum'."
Alle Feuilletons verabschieden sich vom großen italienischen Regisseur und Drehbuchautor Ettore Scola und Zusammenfassen kann man diese Nachrufe wohl am besten mit der Überschrift in der Tageszeitung DIE WELT:
"Lauter bittersüße Abgesänge auf das alte Italien."
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