Aus den Feuilletons

Merkel legt ihre alte Platte auf

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Journalisten und Kameraleuten in Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. © AFP/ Tobias Schwarz
Von Adelheid Wedel · 28.07.2016
Die Bundeskanzlerin bekommt Ärger mit dem FAZ-Feuilleton: Ihr "Mix aus Messianismus und Bürokratie" wird dort gegeißelt − als halsstarrige Wiederholung der Wir-schaffen-das-Rhetorik von 2015.
Das Feuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG drischt nach der Pressekonferenz am Donnerstag auf die Bundeskanzlerin ein und bescheinigt ihr "Unbeirrbarkeit, die in Halsstarrigkeit übergeht." Weiter heißt es: "Mit dem für Merkel typischen rhetorischen Mix aus Messianismus und Bürokratie legte sie die Platte von vor elf Monaten wieder auf." Dass Merkel ein besseres Frühwarnsystem verspricht, sei gut und richtig, "aber Schaffensoptimismus mag nicht aufkommen", urteilt der Autor. Und setzt fort: "denn bei allen Erfolgen der Terrorverhütung ... bleibt der Terror doch eine schwer berechenbare Größe und kann gleichsam naturgemäß nicht Gegenstand eines Versprechens sein, ihn zu bewältigen."
"Vielleicht fällt die Diktatur ja doch aus", überschreibt die Tageszeitung DIE WELT einen Artikel von Deniz Yügel. Der deutsch-türkische Autor, bis 2015 Redakteur bei der Taz, arbeitet jetzt als Türkei-Korrespondent für WeltN24. Er zählt auf, "was gegen düstere Schwarzmalerei spricht." Obwohl auch er meint: "Nun deutet vieles darauf hin, dass Staatspräsident Erdogan den gescheiterten Putsch als, wie er selbst sagt, Gunst Allahs nutzt, um ein islamisch gefärbtes Ein-Mann-Regime zu installieren." Yügel verweist aber auf Erdogans Pragmatismus und erklärt: "Dass er einem ausländischen Fernsehsender nach dem anderen Interviews gibt, zeigt sein Bedürfnis, sich der Welt mitzuteilen. Seine Botschaft: In der Türkei herrscht Stabilität."
Aber es fallen die leeren Strände von Antalya auf, auch das Ausbleiben ausländischer Investoren. Das könne dem Regierungschef nicht egal sein, argumentiert der Autor, und vermutet: Deswegen sucht Erdogan den Ausgleich mit Israel und Russland. Yügel beschreibt eine Tendenz: "Wer es irgendwie organisieren kann, wird das Land in Richtung Europa verlassen. Die meisten aber dürften bleiben, sich so gut es eben geht einrichten und sich ins Privatleben zurückziehen." Aber auch das muss nicht das letzte Wort sein, denn Yügel setzt auf die Hoffnung, "dass vielleicht am Ende alles gut oder wenigstens weniger schlecht werden wird." Er zitiert ein geflügeltes Wort: "Das hier ist Türkiya, hier kann jederzeit alles passieren. Im Schlechten, klar." Und er fügt hinzu: "Aber auch im Guten."

Einer, der nicht im Huldigungsmodus arbeitet

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG stellt Rainer Hermann einen türkischen Journalisten vor, der jetzt wie viele seiner Kollegen inhaftiert wurde: den 72-jährige Sahin Alpay. "Sein Leben steht beispielhaft für die freie türkische Presse, von der nichts bleiben soll," kommentiert Hermann. Denn, "es ist ein Rundumschlag gegen alles, was sich nicht in den Huldigungsmodus gegenüber dem Cäsaren im Serail versetzen lässt." Sahin Alpay gilt als "einer der prominenten liberalen türkischen Intellektuellen, der in den vergangenen Jahren mit seiner Kritik an Erdogan nie hinter dem Berg gehalten hat. … Der Preis ist der Verlust der Freiheit."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG druckt einen Kommentar – sie nennt es "Türkisches Tagebuch" – von Yavuz Baydar, dem Mitbegründer von P 24, einer unabhängigen türkischen Medienplattform in Istanbul. Es klingt wie eine Grabesrede, wenn er schreibt: "Wir werden gerade Zeugen der Zerstörung der türkischen Medienlandschaft. Für die verbleibenden Medienhäuser bedeutet der Ausnahmezustand massive Selbstzensur und Verzicht auf jegliche kritische Berichterstattung."
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG finden wir einen Nachruf auf die "Stimme für Indiens Rechtlose", wie Angela Schader die Schriftstellerin Mahasweta Devi nennt. Sie starb am heutigen Donnerstag 90-jährig in Kalkutta. Bei Indiens Auftritt als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse hielt sie die Eröffnungsrede. "Die literarische und journalistische Arbeit der Devi stand von Anfang an im Zeichen des sozialen und politischen Engagements", schreibt Angela Schade, und: "Den Armen und Marginalisierten… galt ihr Schaffen. Devi zeigte die Stammesgemeinschaften als Träger eigener kultureller Systeme, die Indien achtlos und letztlich zu seinem eigenen Schaden dem Untergang preisgibt."
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