Aus den Feuilletons

"Männer sind die Verlierer des Patriarchats"

Der Schriftsteller Ralf Bönt
Der Schriftsteller Ralf Bönt © dpa / picture alliance
Von Maximilian Steinbeis · 20.11.2014
In der "Welt" erhebt der Schriftsteller Ralf Bönt bittere Anklage gegen Karrierefrauen und Genderforschung - und auch in der "Taz" gibt es heute einige Männerfantasien. Das und mehr in unserer Kulturpresseschau.
"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einer ungeheuren Drohne verwandelt."
So verwandelt der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Kafkas Klassikertext, und zwar zu dem Zweck, uns für die "summende Invasion technischer Insekten"zu sensibilisieren, die "gegenwärtig aus den Regalen der Spielwarenläden und Elektronik-Supermärkte emporschwärmen. (…) Wir stehen an der Schwelle einer neuen Entomologie der fliegenden Roboter", manche davon mit Hellfire-Raketen bewaffnet, manche mit Überwachungskamera. Ob es Sarkasmus ist oder ernst gemeint, wird nicht recht klar, aber jedenfalls scheint den NZZ-Autor an dieser Entwicklung vor allem eins zu beunruhigen:
"Bange Frage eines Literaten: Wird es auch Lobredner und Sänger der Drohne geben?"
Da wir gerade von Insekten sprechen: Drohnen sind bekanntlich die männlichen Angehörigen des Bienenvolks, faul, verfressen und zu nichts nutze als zur Fortpflanzung. In der WELT erhebt der Schriftsteller Ralf Bönt bittere Anklage gegen Karrierefrauen, Genderforschung und Lann Hornscheidt, die ProfessorX von der Humboldt-Uni, deren/dessen Bestehen auf einer geschlechtsneutralen Anrede gegenwärtig nicht nur den Pressebeschauer in sprachliche Schwierigkeiten bringt.
WELT-Autor Bönt ist Lann Hornsteins Trans-Identität entweder unbekannt oder egal, jedenfalls fährt er munter fort, sie/ihn als Professorin zu bezeichnen und attestiert ihr/ihm obendrein, "keinen Überblick und kein Rückgrat" zu haben. Der "Alptraum an Reaktionen", den Lann Hornstein in den letzten Tagen durchleiden musste, tut ihm zwar leid, aber: Selbst schuld. "Die Belustigung über die Unverhältnismäßigkeit ihrer Forderung war erwartbar."
Selbst schuld finden wir Männer die Frauen immer gerne, vor allem wenn sie zum Opfer von Gewalt werden. Für Bönt haben indessen die Frauen in ihrer komfortablen Lage zwischen Pekip-Gruppe und Pädiatriepraxis eigentlich gar keinen Grund sich zu beklagen.
"Männer sind die Verlierer des Patriarchats, sie besetzen mit den oberen und unteren sozialen Rängen die ungemütlichen. Sie sind die chronisch Kranken, die Unfall- und Gewaltopfer."
Wir empfehlen Ralf Bönt, seine Tränen mit der TAZ zu trocknen, denn dort findet sich, apropos Gewalt und Männerfantasien, ein Bericht über den deutschen Mixed-Martial-Arts Kämpfer Nick Heid, genannt "The Sergeant", der demnächst seinen ersten großen Kampf in der Ultimate-Fighting-Liga zu bestehen haben wird.
"15 Minuten Schlagen, Treten, Werfen, Hebeln und Würgen entscheiden, wie es weitergeht mit Nick Hein, dem Polizisten, Schauspieler und Kämpfer."
Da schleichen wir uns lieber ins wiedereröffnete Berliner Kunstgewerbemuseum, das in seiner neuen Gestalt den Architekturrezensenten unterschiedlich gut gefällt. Für Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG stellt der Bau mit "seinem labyrinthischen Inneren, in dem sich freischwebende Treppen, brutalistische Stützbalken und Waschbetonsäulen ohne Sinn und Verstand übereinander kanten, nach wie vor eine ästhetische Zumutung erster Ordnung dar." Jens Bisky in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist dagegen ganz zufrieden: "Mit überlegten Eingriffen wurde hier viel erreicht."
Zuletzt wollen wir noch in den Chor der Nachrufer auf den verstorbenen Filmregisseur Mike Nichols einstimmen, dem wir Klassiker wie die "Reifeprüfung" verdanken und "Wer hat Angst vor Virginia Woolff?" (Ralf Bönt vielleicht, apropos…). Die Zeitungen schreiben im Wesentlichen alle die gleichen Anekdötchen aus Nichols Leben, nur in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG bemüht sich Verena Lueken um Reflexion und liefert uns damit zugleich einen passenden Abschluss für diese an der Mann-Frau-Differenz herumdokternde Presseschau:
"Alles, was auf den ersten Blick wie ein vernünftiges Ordnungsprinzip aussieht, sei es bürokratischer, geschlechtlicher, politischer oder professioneller Art, weckte sein Misstrauen. Fast immer zu Recht und mit komischem Resultat."