Aus den Feuilletons

Lauter Verrisse

Die deutsche Schriftstellerin Judith Hermann signiert eines ihrer Bücher (Archivbild von 2009). Hermann - geboren 1970 in Berlin - lebt im Prenzlauer Berg.
Gedankliche Schlichtheit? Unvermögen? Die "SZ" geht hart ins Gericht mit Judith Hermanns neuem Buch. © dpa / Alina Novopashina
Von Arno Orzessek · 28.08.2014
Die "FAZ" echauffiert sich über Stil und Story von Judith Hermann Romans "Aller Liebe Anfang". Kein gutes Haar lässt die "SZ" an Milo Raus Theaterstück "The Civil Wars", und die "TAZ" motzt über das neue "Blumfeld"-Album. Nur Angela Merkel kommt gut weg.
Um mit ordentlich Schmackes zu beginnen, beginnen wir mit dem Verriss des Tages.
"Judith Hermann hat zwei Probleme: Sie kann nicht schreiben, und sie hat nichts zu sagen",
poltert Edo Reents in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, hoch auf die Palme gebracht von "Aller Liebe Anfang", dem ersten Roman der bislang mit Erzählungen – und zumal dem Band "Sommerhaus später" – hervorgetretenen Hermann. So richtig mies findet Reents die Story um die Krankenpflegerin Stella und den Stalker Mister Pfister. Noch mieser jedoch findet er die Sprache.
"Judith Hermanns Stil gilt ja als 'kunstvoll'. Er ist es insofern, als es ihm gelingt, trotz starker, freundlich formuliert: Reduktion beachtliche Redundanz zu erzielen. Für eine Stilistin versteht es sich von selbst, Verben wegzulassen, so gut wie jede Aussage in wörtlicher Rede mindestens einmal zu wiederholen, auf die üblichen Satzzeichen, vor allem Fragezeichen, zu verzichten. Syntaktische Schlichtheit gilt als Judith Hermanns Markenzeichen. Was aber, wenn sich dahinter gedankliche Schlichtheit verbirgt? Oder einfach nur Unvermögen?"
FAZ-Autor Reents untersucht viele Hermann-typische Sätze – und diese Untersuchung wirft tatsächlich ein so grauenhaftes Licht auf "Aller Liebe Anfang", dass Reents Resümee sogar gnädig wirkt.
Es lautet: "Unbeholfenheit, die sich spreizt."
Wo wir gerade bei Verrissen sind: "Wann gehen wir uns mal wieder an die Gurgel?", fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und umreißt damit das Thema von Milo Raus Theaterstück "The Civil Wars", das in Zürich aufgeführt wurde.
Allein, es war offenbar kein "großer Rau".
"Bei den 'Civil Wars' knistert es nicht",so SZ-Autor Tim Neshitov. "Milo Rau stellt zwar eine für Europa brennend aktuelle, womöglich die einzig wirklich relevante Frage: Was hält uns noch zusammen in einer Zeit, da Radikalismen wuchern, von Islamismus bis Nationalismus, während Umwelt und Sozialstaat zugrunde gehen? Und als großer Künstler lässt er die Frage unbeantwortet. Aber die Realität, er kann sie hier nicht gestalten, sie zerrinnt ihm zwischen den Fingern. Es fehlt die dicke Frontlinie."
Schlechte Noten auch für die wiedervereinte Band Blumfeld, einst Haupt der sogenannten Hamburger Schule.
In der TAGESZEITUNG motzt Christian Werthschulte über das Comeback-Konzert in Köln:
"Die Darbietung (…) war mehr die Wiederholung bekannter musikalischer, textlicher und körperlicher Gesten als ein Comeback der Band, die (1994) 'L'etat et moi' komponiert hatte. (…) So wird das (…) (Konzert) von Blumfeld zu einem Moment restaurativer Nostalgie."
So viel zum Madig-Macher-Rezensions-Feuilleton.
Unterdessen wappnet sich Berlin für die Zeit nach Klaus "Wowi" Wowereit, dem Regierenden Bürgermeister, der seinen Abgang angekündigt hat.
Weshalb die BERLINER ZEITUNG Schriftsteller befragt, wie die Hauptstadt künftig regiert werden soll. Michael Kleeberg übergeht die Frage, er will etwas anderes loswerden:
"Morde am helllichten Tag am Alexanderplatz, unbewältigte Einbruchskriminalität, rechtsfreie Räume in Kreuzberg und Marzahn (…), ganz zu schweigen vom Flughafenprojekt. Der Senat unter Wowereit versagt in seinen hoheitlichen Pflichten. Jetzt tritt der oberste Versager zurück. Gut so, aber was hilft's?"
Konstruktiver Ines Geipel. Sie bemerkt:
"Das ging doch alles: Berlin ohne Mauer, ein Stadt mit Parks, Charisma und guten Clubs, viel, viel Theater, viel Icke, Schluffi, Kater und Morast. Dann geht doch jetzt auch: weniger verrottete Schulen, weniger genormt hässliche Bausünden, weniger Touri-Kotzen, weniger Pannen, Pleiten und Schlaglöcher, endlich mehr Polit-Profil."
Liebe Hörer, schon rast das Ende der Presseschau auf uns zu. Wir erwähnen nur noch rasch, dass sich Bundeskanzlerin Merkel bei einem Foyer-Gespräch des Magazins CICERO im Berliner Ensemble recht wacker geschlagen hat – wenn man der TAZ glauben will. Das Schöne ist nun: Was Merkel im BE zum Schluss sagte, erspart uns ein eigenes Schlusswort. Die Kanzlerin sagte nämlich:
"'Ich muss nicht zum nächsten Termin. Ich muss jetzt nach Hause. Man muss auch mal nach Hause, weil man sonst nicht fröhlich sein kann.'"