Aus den Feuilletons

Langsamer Lesen

Vier Frauen und ein Mann sitzen vor einer Bücherwand und lesen.
Lesen im Messetrubel? Dafür gibt es Alternativen. © dpa/Jan Woitas
Von Gregor Sander · 13.10.2015
Man trifft sich in einem Hipster-Ambiente und schaltet die Telefone aus. "Genießt eine Stunde leisen, ununterbrochenen Lesens!" fordern sogenannte "Slow Reading Clubs" in London oder Seattle ihre Mitglieder auf. Wie es den Teilnehmern bei den stillen Sessions ergeht, berichtet die "SZ".
"Wer soll das alles lesen?"
fragt Johan Schloemann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und meint damit natürlich das Angebot auf der Frankfurter Buchmesse, auf der gerade 7200 Verlagen aus 104 Ländern ihre Ware anbieten. Schloemann berichtet dann von einem neuen weltweiten Trend, der die Bücherberge abbauen könnte: Den "Slow Reading Clubs". Es gebe sie schon in "Seattle, Brooklyn und London, aber auch in Spanien, Japan, Kanada und Neuseeland". Und was passiert dort?
"Man trifft sich in einem Café oder einer Bar, macht es sich gemütlich, schaltet sein Telefon aus, keiner darf reden – und dann gilt, wie es in der Ankündigung eines dieser Klubs heißt: 'Genießt eine Stunde leisen, ununterbrochenen Lesens!' Nach der stillen Lesezeit darf, wer will, bleiben und sich unterhalten."
Abgefahren, möchte man laut rufen. Und da geht der SZ-Autor noch mehr ins Detail:
"In den zehn Tipps, die der Slow Reading Club im neuseeländischen Wellington Neueinsteigern an die Hand gibt, heißt es denn auch, man solle vor Beginn der Lektürestunde die Augen schließen und fünfmaltief durchatmen. Teilnehmer an solchen stillen Sessionen berichten, wie die Konzentration steigt, wie alles beim Lesen irgendwie schärfer, lebendiger, fesselnder wird."
Fast wie zu Hause auf dem Sofa, möchte man hinzufügen. Doch da steht in der SZ auch noch:
"Nur eben jetzt in einem Retro-Hipster-Ambiente mit diversen Kaffeespezialitäten."
Weltliteratur auf Youtube in elf Minuten
Wie die jüngeren Geschwister der Retro-Hipster durch das Deutschabitur kommen, erklärt Melanie Mühl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"In der Reclam-Ausgabe umfasst Theodor Fontanes 1894 veröffentlichter Roman 'Effi Briest' 347 Seiten, die sich nicht kurzerhand weglesen lassen. Michael Sommer erklärt den Inhalt auf seinem Youtube-Kanal "Sommers Weltliteratur to go" anhand von Playmobilfiguren und wechselnden Bühnenbildern in kurzweiligen elf Minuten.
30.000 Zuschauer hat so ein Film und Michael Sommer arbeitet inzwischen mit dem Reclam-Verlag zusammen. Aber möchte man sich Goethes "Werther" wirklich mit Playmobilfiguren ansehen? Melanie Mühl sagt ganz klar: "Ja."
"Eine der besten Szenen ist der Auftritt Klopstocks – verkörpert von einer Playmobilfigur mit weißem Haupthaar, grüner Weste und roter Hose, die vor einem Landschaftspanorama steht, 'Äh, guten Tag, meine Name ist Klopstock und in meiner Ode 'Die Frühlingsfeier', um die es hier Werther und Lotte geht, geht es um die erhebende Erfahrung eines Frühlingsgewitters, darum, wie ein Tropfen am Rand eines Eimers hängt, um die Frage, ob Käfer eine Seele haben und ob der Blitz jetzt in unser Haus einschlägt oder nicht."
US-"Playboy": Mehr Klicks bei weniger Nacktfotos
Die Zeitschrift "Playboy" wurde vermutlich schon immer mehr angeschaut als gelesen, aber das könnte sich bald ändern, wie Tatjana Kennedy in der TAZ berichtet:
"Die Playmates vom US-Playboy müssen sich ab März 2016 anziehen und dürfen nur noch mit 'provokanten Posen' provozieren."
Bei der Online-Ausgabe sind die Nackten schon seit August 2014 weg, mit einem erstaunlichen Ergebnis:
"Prompt fiel das Durchschnittsalter der Nutzer von 47 auf knapp unter 30 Jahre und der Traffic kletterte von 4 auf rund 16 Millionen Nutzer pro Monat",
erklärt Kennedy in der TAZ. Warum das so ist, weiß sie allerdings auch nicht.
"Tagesschau": Mehr Raum für Erklärstücke
Veränderungen wird es auch bei der guten alten "Tagesschau" geben, wie ebenfalls in der TAZ zu lesen ist:
"Die 'Tagesschau' will künftig Erklärungen und Hintergrundstücken mehr Zeit einräumen."
Bleibt zu hoffen, dass sie dabei ohne Playmobilfiguren auskommt.
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