Aus den Feuilletons

Krims Märchen

Kremlchef Wladimir Putin hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Krim-Krise betont, er sehe derzeit keinen konkreten Anlass für eine Militäraktion in der Ukraine.
Kremlchef Wladimir Putin bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Krim-Krise. © dpa/ALEXEY NIKOLSKY/RIA NOVOSTI
Von Arno Orzessek · 04.03.2014
Aus Moskau bekommt man dieser Tage einiges zu hören, insbesondere was die Interpretation der bilateralen Beziehungen zur Ukraine betrifft. Weitere Themen in den Feuilletons sind die Nolde-Ausstellung in Frankfurt und die offene Sexualisierung von Kindermode.
Lesen wir zunächst „Krims Märchen.“ Ja, Sie haben richtig gehört: Nicht Grimms – „Krims Märchen“.
Unter diesem Titel erklärt Jens Mühling im TAGESSPIEGEL, die russische Besetzung der Krim stehe genauso wie die Begründung Moskaus – alles geschehe zum Schutz der dort lebenden Russen - in einer alten Tradition… Die unübersichtliche Besiedlungsgeschichte der Halbinsel hätte nämlich schon viele Reiche und Herrscher verleitet, Ansprüche anzumelden.
„Hitler zum Beispiel: Als die Wehrmacht 1942 die Südukraine einnahm, baldowerten findige Rassentheoretiker flugs einen Annektierungsgrund aus. Eigentlich, argumentierten sie, sei die Krim schon immer deutsch gewesen – schließlich hätten hier einst die Krimgoten gelebt, Nachkommen der wanderungsfreudigen Ostgoten, die im dritten nachchristlichen Jahrhundert an die Schwarzmeerküste gelangt waren.“
So viel zu "Krims Märchen".
Für eine Art Wissenschaftsmärchen hält der britische Historiker John C. G. Röhl die These, am Ausbruch des Ersten Weltkriegs wären irgendwie alle europäischen Großmächte schuld gewesen. Unter dem Titel „Der Wille zum Angriff“ verteidigt Röhl in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Historiker Fritz Fischer, der in den 60er Jahren die Verantwortung für den Großen Krieg nahezu komplett Deutschland angelastet hatte.
„Etwas mulmig wird es einem […] bei der Vorstellung, dass in Deutschland jetzt wohl der Eindruck entsteht, als wären die Forschungsergebnisse von Fischer […] und zahlreichen anderen Historikern nichts weiter als der Ausdruck eines ‚blame game‘ […] gewesen, mit dem die Alliierten [des Zweiten Weltkriegs] Deutschland durch eine unfaire Schuldzuweisung auch noch für den Ersten Weltkrieg niederzuhalten suchten.“
So John Röhl in der SZ.
Von der Entzauberung eines Kunst-Mythos berichtet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG – und zwar aus Anlass der Emil-Nolde-Retrospektive im Frankfurter Städel Museum. Einige Gemälde dort tragen das Datum „‘1942‘“ oder „‘1943‘“ – und das, so Julia Voss, dürfte eigentlich nicht sein:
„Nolde malte [also] während des angeblichen Malverbots [durch die Nazis]. Das Malverbot war demnach nicht das, wofür wir es hielten. Und vor allem: nicht das, wofür wir es halten sollten. Diese Ausstellung ist mehr als eine Retrospektive. Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik werden Noldes Bilder in einem Museum gezeigt, ohne dass sie […] verklärt werden, ohne dass sie ein Mythos verstellt. Geknackt wird ein Kokon, ein Panzer, der Noldes Bilder die längste Zeit vor der Kritik geschützt hat.“
Das Fazit von FAZ-Autorin Voss:
„Die Pflicht, Nolde zu lieben, ist […] an ein Ende gekommen. Die Bilder hören auf, Symbole des Widerstands zu sein. Sie sind keine Zeichen mehr. Nur noch Gemälde von Wellen, Blumen und tanzenden Frauen, mal besser, mal schlechter.“
Tanzende Püppchen zeigt die SZ. Antonia Maler geht der Beobachtung nach, dass in Film und Kunst die Abbildung nackter Kinder immer heikler wird, die Spielzeug- und Bekleidungsindustrie aber schon kleinste Mädchen radikal auf sexy trimmt. Das erfuhr Maler in der Kinderabteilung eines Kaufhauses.
„Auf zwanzig Zentimeter breiten Plastikbügeln hängen Push-Up-BHs, in Mini-Größe vollgepolstert. Und die sind nicht für dreizehnjährige Mädchen geschnitten. […] Die […] Büstenhalter sind für Zehnjährige entworfen. Noch kleiner sind die durchsichtigen String Tangas, die man im Internet ab XXXS ordern kann, das entspricht [Größe] 128 – für Achtjährige.“
SZ-Autorin Maler schüttelt den Kopf… „über eine Gesellschaft, die zu prüde ist, ein Baby nackig im Park spielen zu lassen – und gleichzeitig sexbesessen bis in die vorderste Reihe des Spielzeugregals.“
Die sinnenfrohe TAGESZEITUNG rät unterdessen pauschal zum „Sex um des Friedens willen“ und empfiehlt: „Schlafen Sie doch mal mit einem Konservativen!“.
Warum das angeblich die westliche Gesellschaft retten könnte, liebe Hörer, das lesen Sie bitte selbst nach. Und falls Sie nun sauer sind, weil wir hier Eigeninitiative von Ihnen fordern, bedenken Sie mit der BERLINER ZEITUNG:
„Wut ist wichtig, um am Leben zu bleiben.“