Aus den Feuilletons

Kanzlerin soll Grütters simsen

Angela Merkel schaut auf ihr Handy.
Angela Merkel und ihr Telefon © imago/Ipon
Von Burkhard Müller-Ullrich · 26.11.2015
Die "Welt" fordert Angela Merkel dazu auf, eine SMS an die Kulturstaatsministerin zu schicken, um das Kulturgutschutzgesetz zu stoppen. Diverse Leihgeber seien bereits dabei, Bilder aus deutschen Museen abzuziehen.
Der Angriff ist persönlich und frontal. Frontaler geht's nicht. Er richtet sich gegen Monika Grütters, und es ist kein Niemand, der ihn ausführt: Bernd Schultz, Gründer und einer der Geschäftsführer des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach, 20 Jahre lang Mitglied des Berliner Ausschusses für Kulturgutschutz, fragt in der WELT, wann endlich die Kanzlerin eine SMS an die Kulturstaatsministerin schickt, um das vom Kabinett abgesegnete fatale Kulturgutschutzgesetz zu stoppen.
"Alle großen Kunsthändler und Auktionshäuser prüfen derzeit die Verlagerung zentraler Geschäftsteile ins Ausland",
warnt Schultz:
"Kommt der Entwurf in der jetzigen Form, wird der Kunsthandel auch keine Einlieferungen aus dem Ausland von wichtigen deutschen Kunstwerken mehr erhalten",
und:
"Die internationale Kunstwelt wird mit dem Gesetz aufgefordert, um Deutschland einen Bogen zu machen."
Steht es wirklich so schlimm oder übertreibt der Mann? Immerhin behauptet er, dass in den letzten vier Monaten Kunst im Wert von einer Milliarde Euro aus Deutschland weggebracht worden sei – das ist eine irre Zahl, die niemand beweisen und niemand widerlegen kann. Aber dass diverse Leihgeber ihr Eigentum derzeit aus deutschen Museen abziehen, das ist eine nachprüfbare Tatsache: aus Leipzig ein Max Beckmann, aus Bonn Werke von August Macke, aus München einen Caspar David Friedrich, und auch die Hamburger Kunsthalle meldet erste Verluste.
Es braut sich, um mit Schultz zu reden, eine bedrohliche Gewitterwolke zusammen: bedrohlich nicht bloß für Museen, Sammler und Händler, sondern auch für die Politikerin, die das alles zu verantworten hat.
"Während man ihren Amtsvorgänger Bernd Neumann mit viel Skepsis empfangen und dann mit viel Respekt und Lob verabschiedet hat, wird es bei Monika Grütters umgekehrt sein."
Plädoyer für Religionskritik
Soweit Bernd Schultz in der WELT und jetzt zur SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Dort führt der Staatsrechtler Horst Dreier vor, wie das mit der Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit inklusive Religionskritik in der Demokratie gedacht ist. Dazu holt Dreier erst einmal historisch aus: die Basis des Friedens nach dem Dreißigjährigen Krieg war die religiöse Homogenität der Länder und Territorien in Europa. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert funktionierte das so. Erst danach entstand ein Rechtsrahmen von ausreichender Festigkeit, der es innerhalb eines Staates unterschiedlichen Konfessionen ermöglichte zusammenzuleben, aber da ging es zunächst bloß um Konfessionen, nicht um Religionen, und schon gar nicht um eine Religion, die – wie Dreier formuliert –
"... in geschlossenen kulturellen Milieus mit geringer Toleranzfähigkeit und ausgeprägtem Kränkungsfetischismus"
existiert.
Wie ist das aber mit den sogenannten Provokationen, die von manchen Leuten als Erklärung für Drohungen oder Gewalttaten herangezogen werden? Wissenschaftliche Koran-Kritik, Mohammed-Karikaturen oder verstörende Opern-Inszenierungen – alles das, sagt Horst Dreier, muss ausgehalten werden, denn nur solange das geschieht, wird der freiheitliche Verfassungsstaat des Grundgesetzes fortbestehen.
"Nicht die empörten Mitglieder der Religionsgemeinschaft sind vor der Aufführung der Oper zu schützen (niemand zwingt sie ja zum Besuch), sondern die Opernaufführung vor Störern."
So einfach ist das, wenn die freiheitliche Verfassung im Staat noch das Sagen hat, was natürlich nicht nur eine demokratische, sondern auch eine demographische Frage ist.
Goncourt-Preisträger Mathias Énard über den Islam
Und damit kommen wir zur FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, die sich dem guten, sanften, freundlichen Islam widmet, und zwar in Form eines Interviews mit dem neuen Goncourt-Preisträger Mathias Énard, der drei Jahre in Damaskus, zwei Jahre in Beirut und ein Jahr in Teheran gelebt hat. Er tritt dem Orient nicht angstvoll, sondern mit Offenheit und Neugier entgegen und
"... zeigt, dass der Nahe Osten über große kulturelle Schätze verfügt, über eine enorme Vielfalt, der wir in Europa viel verdanken. In diesem Sinn ist der Roman tatsächlich ein Anti-Houellebecq. Seine Vision des Islam und der Muslime ist ja eine Farce, zum Lachen! Sie ist so karikaturenhaft und idiotisch, dass man sie unmöglich ernst nehmen kann."
Sagt der französische Schriftsteller Mathias Énard in der FAZ über seinen immer noch um einiges berühmteren Kollegen.
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