Aus den Feuilletons

In Brasilien ist der Teufel los

Brasilianer in der Stadt Sao Paulo nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses im Parlament.
Brasilianer nach dem Votum des Abgeordnetenhauses für ein Amtsenthebungsverfahren von Präsidentin Dilma Rousseff, über das am 11. Mai 2016 entschieden wird. © AFP PHOTO/EPA/SEBASTIAO MOREIRA
Von Arno Orzessek    · 10.05.2016
Die "SZ" lässt auf einer Sonderseite brasilianische Intellektuelle zu Wort kommen. Eine von ihnen befürchtet, dass das Land demnächst von Faschisten regiert werden könne, die auch das Internet überwachen.
Nichts weiter als "'das Aufrülpsen zwischen zwei Aalsuppen'" sei das intellektuelle Leben in Hamburg, spottete einst Aby Warburg, der berühmte Kunsthistoriker und Schöpfer des Mnemosyne-Atlas', der selbst Hamburger war. Warum wir das erwähnen, liebe Hörer? Nun, in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG stellt der Kunsthistoriker Frank Zöllner den Bilder-Guru Warburg als "Wortkünstler" vor.
Juden etwa, die sich aus opportunistischen Gründen taufen ließen, titulierte Warburg als "Mimichristen" mit c-h – ein Neu-Wort, in das die biologische "Mimikry" mit k in der Tat glücklich eingearbeitet ist.
Weitere Beispiele: Die Kinder, die der Jude Warburg selbst mit der Christin Mary Hertz hatte, nannte er in Anlehnung an ein gestreiftes Huftier "zebräisch". Und um seine Pflegekraft Lydia zu charakterisieren, mixte er aus "Schwester" und "Hexe‘ die "Schwexe".
Soviel als rhetorisches Amuse-Gueule…

Kardinal Lehmann in Gottes Hand

Und für alle, die auf den Geschmack gekommen sind, nun ein stilistisches Rätsel. Am Pfingstmontag wird Kardinal Lehmann 80 Jahre alt. Welche Zeitung beendet ihre vorzeitige Gratulation wohl wie folgt?
"Kardinal Lehmann wirkt heiter in diesen Tagen. Er hat genug gekämpft. Was nun kommt, liegt in Gottes Hand."
Klar, wir hätten kaum gefragt, wenn die Antwort nicht etwas überraschend wäre. Aber weil Sie den doppelten Boden natürlich mit einkalkulieren, ahnen Sie: Es ist – in Person von Philipp Gessler – die ansonsten glaubensferne TAGESZEITUNG, die Kardinal Lehmann in Gottes Hand weiß.

"SZ" mit Brasilien-Sonderseite

Derweil ist in Brasilien der Teufel los. Das ganze Land sei wegen der Angriffe auf Präsidentin Dilma Rousseff "in Aufruhr", betont die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG auf einer Brasilien-Sonderseite und reicht drei brasilianischen Intellektuellen das Wort, darunter Katherine Funke, eine ehemalige Polizei-Reporterin.
"Es sind düstere Zeiten, abgesehen von der stechenden Sonne. Korrupte Politiker übernehmen die Macht, mehr Macht als je zuvor, und ihre Verbrechen bleiben straflos. Das Schlimmste: Sie wollen das Internet überwachen, neue Regeln einsetzen, die etwa die Navigation einschränken, so fürchten wir. Vielleicht stehen wir alle schon auf der schwarzen Liste der Faschisten, die Brasilien bald regieren werden."

Unterdrückt Facebook Nachrichten?

Das soziale Netzwerk Facebook wird man nicht gleich faschistisch schimpfen, aber es wird seinerseits bezichtigt, Nachrichten zu unterdrücken. Und zwar solche aus dem konservativen Lager.
Unter dem Titel "Macht Facebook Präsidenten?" erklärt Christian Meier in der Tageszeitung DIE WELT, warum allein der Verdacht dem Plattform-Riesen zu schaffen macht:
"Was Facebook und andere Tech-Unternehmen um jeden Preis vermeiden wollen, ist eine Einordnung als Medienunternehmen. Als Medienunternehmen unterlägen sie einer völlig neuen Bewertung nach Kriterien wie beispielsweise journalistischer Verantwortung, die sie sich lieber gar nicht erst zu eigen machen wollen. Der Status von Google, Facebook und Co. liegt ja gerade darin, eben keine Werturteile abzugeben."
Gerade das hält die FAZ-Autorin Ursula Scheer für kaum denkbar und lästert:
"Wer glaubt, der Algorithmus von Facebook sei neutral, wird selig."

Loblied auf das zeitgenössische Theater

Im Berliner TAGESSPIEGEL bricht Christine Wahl eine Lanze für zeitgenössische Theaterautoren und für einen, der auch Regie führt, ganz besonders:
"René Polleschs große dramatische Perspektivwechsel sind ohne die Poststrukturalisten – ohne Foucault, Derrida, Lacan oder Judith Butler – nicht zu denken. Und wer sich in die luziden Volksstücke eines Ferdinand Schmalz vertieft, der bekommt en passant mitgeliefert, wie sich der italienische Gegenwartsdenker Giorgio Agamben zu Hegels Dialektik und der Phänomenologie Martin Heideggers verhält."
Klingt echt geschwollen, aber sei’s drum! Anschlussfähig ist allemal die TAGESSPIEGEL-Überschrift, die unser Abschiedsgruß sei:
"Wir schreiben die Welt nicht ab."
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