Aus den Feuilletons

Hopp und Top für Merkels Flüchtlingspolitik

Bundeskanzlerin Merkel
Die Politik der Bundeskanzlerin: Christian Geyer von der "FAZ" knöpfte sie sich in dieser Woche gleich zweimal vor. © dpa/picture-alliance/Marius Becker
Von Arno Orzessek · 10.10.2015
Zwischen Begeisterung und heftiger Kritik: Die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin dominierte die Feuilletons der Woche. In der "Welt" wurde Merkels Merkelhaftigkeit kritisiert. Der französische Philosoph Étienne Balibar lobte in der "Zeit" ihr Handeln als wertvoll.
Die Frau, die ganz Europa in Atem hält, hielt in der vergangenen Woche auch die Feuilletons in Atem.
"Merkel ist Merkel", konstatiert die Schriftstellerin Monika Maron in der Tageszeitung DIE WELT. Und bekundete sarkastisch, dass ihr Merkels Merkelhaftigkeit in puncto Flüchtlingskrise missfällt.:
"Dass Merkel nun für die größte Zumutung nicht nur für die Deutschen, sondern für alle Europäer gesorgt hat, schreckt uns auf aus der Gemütlichkeit. Eine Million Menschen, vorwiegend junge, muslimische Männer, und das nur in diesem Jahr, strömen unkontrolliert nach Deutschland und werden, wie uns Rot, Grün und Schwarz einmütig versichern, unser Land verändern, und zwar zum Besseren, wie gern hinzugefügt wird."
Großes Lob für Merkel aus Frankreich
Begeistert von der Kanzlerin zeigte sich dagegen der französische Philosoph Étienne Balibar in der Wochenzeitung DIE ZEIT.
"Seit dem Ausbruch der Krise war vor allem sie es, die die Flüchtlingskrise als eine politische begriffen hat. Sie war es, die den Ausnahmezustand erklärte, indem sie 'einseitige' Maßnahmen verkündetet, um den Vorrang des Asylrechts vor der 'Festung Europa' zu behaupten. Wer (wie ich) die Art und Weise absolut missbilligt, in der Merkel Europa ihre Austeritätspolitik aufzwang, der muss heute anerkennen, wie wertvoll ihr Handeln in der Flüchtlingskrise war."
Das wiederum würde Christian Geyer wütend anfechten.
Der Autor der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG knöpfte sich Merkel gleich zweimal vor – einmal unter dem entgeisterten Titel: "Nun wissen wir, wer unsere Kanzlerin ist".
"Dass Angela Merkel, wie zuletzt bei 'Anne Will', die (Flüchtlings-)Zahlen für unwichtig erklärte, sie als 'egal' bezeichnete, stattdessen ihre autokratische Glaubensgewissheit als demokratische Haltung und Führungsqualität ausgibt – das ist das Gespenstische an der sogenannten klaren Linie der Kanzlerin."
Unterdessen erklärte der Schriftsteller Georgi Gospodinow in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, dass man in Osteuropa Aversionen gegen die Flüchtlinge wie auch gegen Merkel hege:
"Vom Turm des neuen osteuropäischen Nationalismus aus betrachtet scheinen die Rollen vertauscht worden zu sein. Das naive Westeuropa und besonders Merkels Deutschland gegen das rational kühle ehemalige Osteuropa. Die deutsche Aufklärung ist in faulem Humanismus und verhängnisvoller Emotionalität versunken, die einst so weite slawische Seele hat sich zum reinen Verstand aufgeschwungen, der rational das untergehende Europa (vor den Flüchtlingen) retten will."
Literaturnobelpreis für eine "Ikone des Widerstands"
Noch häufiger als mit Merkel befassten sich die Feuilletons mit der weißrussischen Autorin Swetlana Alexijewitsch.
Ilma Rakusa feierte die neue Literaturnobelpreis-Trägerin in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG als "Wahrheitssucherin ohne Wenn und Aber" und behauptete:
"Hätte der Westen, statt auf die Meistererzählung einer reibungslosen Transition von der Diktatur zur Demokratie und vom Kommunismus zur freien Marktwirtschaft zu hoffen, auf Alexijewitschs Diagnosen gehört, er wäre Russland gegenüber besser gewappnet. Die 'kleinen Leute', auf deren Aussagen Alexijewitschs 'oral history' zumeist gründet, sind nämlich nur allzu repräsentativ für die beschädigte russische Gesellschaft."
Die weißrussische Schriftstellerin und Journalistin Swetlana Alexijewitsch nach der Bekanntgabe der Vergabe des Literaturnobelpreises an sie bei der Ankunft zu einer Pressekonferenz in Minsk, aufgenommen am 8.10.2015
Die weißrussische Schriftstellerin und Journalistin Swetlana Alexijewitsch nach der Bekanntgabe der Vergabe des Literaturnobelpreises an sie bei der Ankunft zu einer Pressekonferenz in Minsk© picture-alliance / dpa / Tatyana Zenkovich
Gregor Dotzauer hob im Berliner TAGESSPIEGEL Alexijewitschs "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" von 1985 hervor – ein Werk über Rotarmistinnen im Zweiten Weltkrieg, das der Autorin viel Ärger einbrachte:
"Für ihre Dokumentation einer Wirklichkeit, die in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht vorkam, wurde sie vor Gericht gestellt. Sie war angeklagt, die 'Ehre des Großen Vaterländischen Krieges' beschmutzt zu haben, wurde ihrer Redakteursstelle in der Hauptstadt enthoben und ein Jahr lang in die Provinz an die polnische Grenze strafversetzt."
Damals wie heute indessen lässt sich Alexijewitsch nicht unterkriegen, wie Regina Mönch in der FAZ betonte:
"In dem Ländern um Russland herum ist (Alexijewitch) längst zur Ikone des Widerstandes geworden, doch ihre Solidarität mit der bedrängten Ukraine ermutigt auch jene, die sich der aggressiven russischen Staatspropaganda widersetzen. Noch scheint es, als sei Putins Volk gänzlich gleichgeschaltet. Mit dem Nobelpreis für Swetlana Alexijewitsch setzt das Preiskomitee einen starken politischen Kontrapunkt zu dieser Entwicklung, dem keine neosowjetische Propaganda beikommen wird",
gab sich Mönch zuversichtlich.
Abschied von Henning Mankell
So groß das Lob auf die Nobelpreisträgerin, so groß der Abschied von Henning Mankell,
"Unser Robin Hood", rief die TAGESZEITUNG dem schwedischen Bestseller-Autor nach, der mit 67 Jahren gestorben ist.
Während die FAZ unter dem Titel "Ein Schwede für Afrika" festhielt:
"Imponierend war, mit welcher Konsequenz Mankell den Ruhm nutzte, um seinem Engagement im Kampf gegen Aids, Armut, Analphabetismus Aufmerksamkeit zu schaffen."
Für die NZZ war Mankell ein "radikaler Aufklärer und kluger Melancholiker".
"Als Autor (so Michael Krüger, Mankells ehemaliger Verleger) stand er mehr auf der Seite der Erzähltradition des 19. Jahrhunderts als auf der des gegenwärtigen Kriminalromans. Er wollte eine, seine Gesellschaft beschreiben, das war schwer genug. Denn moderne Gesellschaften zeichnet es aus, dass an der Oberfläche sich nur noch selten abbildet, was darunter geschieht. Den wirklichen großen Gangstern sieht man nicht mehr an, dass sie welche sind, das hat Volkswagen gerade demonstriert,
konstatierte Krüger.
Was uns zurück zu Angela Merkel bringt. Ebenfalls in der NZZ warnte der Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler:
"Schlimm wäre es natürlich, wenn man Merkel nachweisen könnte, sie habe von dem riesigen VW-Bosch-Betrug gewusst. Zum Glück kann man das so gut wie ausschließen, denn die Amerikaner, deren Regierung mit drakonischen Strafen unsere Volksautomarke bedroht, haben in der fraglichen Zeit das Handy der Kanzlerin abgehört. Sie wissen, wie unschuldig wir sind. Auf höchster Ebene."
Falls Sie jetzt grübeln, liebe Hörer, ob die Presseschau noch lange dauert, möchten wie Sie mit einer TAZ-Überschrift beruhigen. Sie lautete:
"Sicher nicht".
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